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Gaspard Gustave de Coriolis (1792-1843): Mit dem Billardspiel das Leben als Arbeit erklären

Der französische Mathematiker Gaspard Gustave Coriolis (1792-1843) war ein begeisterter Billardspieler. Auf der Grundlage dieses Spiels mit messbaren physikalischen Kräften entstand aus einer praktischen "Spielforschung" sein Buch "Théorie mathématique des effets du jeu de billard" 1835. Schon 1828 hatte er sich mit dem Begriff und der physikalischen Definition der "Arbeit" befasst.

Billard Gaspard-Gustave Coriolis Arbeit

Das Billardspiel als Modell für die mechanische Arbeit und Energietransformation

Das Leben als Arbeit und Energietransformation

Naturwissenschaftler wie Physiker, Chemiker oder Biologen versuchen mit ihren Forschungen in den Geheimnissen der Welt Muster oder gar Gesetzmäßigkeiten zu entdecken. Zur Beschreibung und Erklärung dieser Phänomene nutzen sie die Mathematik.

Gaspard Gustave Coriolis muss viel Billard gespielt haben. Aus einem solchen augenscheinlichen "Zeitvertreib" ist bei ihm als Mitarbeiter der "École polytechnique", einer der französischen Elitehochschulen für das Ingenieurstudium, eine intensive Analyse der mechanischen und kinetischen Energie bei diesem Spiel entstanden.

Gaspard Gustave Coriolis (1792-1843)


In seinen mathematischen Studien befasste sich Coriolis mit der Kraft, also mit der Energie, die ein Körper in einer Bewegung haben kann. Für seine Beschreibung, wie ein Objekt aus der Ruhe in eine temporäre Bewegung gebracht werden kann, verwendete er als erster Wissenschaftler das französische Wort "Travail", auf Deutsch: Arbeit, Englisch: Work.

Die mechanische Arbeit (W) entspricht in der Physik der Kraft (F, Force) multipliziert mit der Strecke (s, Stretch).

Eine Billardkugel wird durch eine Kraft bewegt (Muskelkraft schubst den "Queue", Billardstock), diese Bewegungsenergie, die daruch übertragen wird, ist messbar. Damit wird Energie von einem System zu einem anderen System transformiert.

Ausgehend von dieser physikalischen Sicht ist jedes Leben ebenso Arbeit. Der menschliche Organismus benötigt zu seiner körperlichen, materiellen Erhaltung unterschiedliche Energiequellen aus natürlichen Ressourcen. Allein die Atmung, mit der Aufnahme von Sauerstoff für die Kraftwerke unserer Körperzellen (Mitochondrien), stellt eine entscheidende Energiequelle dar. Dazu kommt die Nahrungsaufnahme mit dem sich anschließenden komplexen Aufschlüsselungs- und Verdauungsprozess zur Energiegewinnung. Beim Vielzeller Mensch sind 10.000 Milliarden Zellen zu versorgen (1013).

Gaspard-Gustave Coriolis ist es zu verdanken, dass er beim Billardspiel auf die Idee kam, die Energietransformation von einem System zu einem anderen System als "Arbeit" zu beschreiben (vgl. Suzman, 2021, S. 31).

Billardspiel als Ausgangspunkt der mathematischen Berechnung von Energietransformation und dem Begriff der "mechanischen Arbeit"

Arbeitsteilung und erfundene Ordnungen

Energieaustausch und Energieübertragung von einem System zum anderen kann auf unterschiedlichen Wegen geschehen, so wie wir die Arbeit von Menschen in Unternehmen in körperliche oder geistige Arbeit unterteilen. Mit der Arbeit schaffen, erschaffen wir etwas, führen eine zielgerichtete Tätigkeit aus, die uns Energie, Lebensenergie, Aufmerksamkeit, Konzentration und Anstrengung abverlangt. In einem komplexen Prozess der Arbeitsteilung sind wir Menschen zum Miteinander, zur Kooperation fähig. Um dies organisieren zu können, Städte gründen zu können, mussten wir gesellschaftlich, soziale, kulturelle Spielregeln des Zusammenlebens entwickeln. Aus diesen spielerisch entstandenen regulativen Ideen und Prinzipien sind erfundene Ordnungen entstanden, die so manche Menschen bis heute als absolute Wahrheiten definieren, ohne zu merken, dass dies keine unveränderlichen Naturgesetze sind.

Das menschliche Spiel ist ebenso eine Tätigkeit, wie die Arbeit, mit dem Unterschied, dass es nicht einem rational definierten, konkreten realen Zweck zur direkten Selbsterhaltung dient. Neben den Herausforderungen des Überlebens lieben wir Menschen es, auch künstliche, nicht direkt notwendige Herausforderungen zu meistern. Spiele sind, energietransformatorisch betrachtet, damit purer Luxus. Aber auch die Natur ist in zahlreichen Formen vielfältig und verschwenderisch. Die wirtschaftswissenschaftliche Annahme, "alle" Ressourcen seien knapp, trifft nicht generell zu. Die Knappheit hat zumeist mit den gesellschaftlichen Spielregeln zu tun, zu denen die Eigentumsrechte einer erfundenen Ordnung zählen. Die Preise an natürlichen Nahrungsmitteln als Energiequelle für die Lebenserhaltung sind der Ausdruck für handel- und veränderbare Eigentumsrechte. Um diese Leckereien von Anbietern als hungriger Nachfrager erwerben und nutzen zu können, ist wohlmöglich ein Geldeinkommen als Tauschmittel durch eine vorgelagerte zu erbringende Arbeitsleistung zu erbringen. Eine Grundannahme für den Beginn gesellschaftlicher Austauschsysteme und den "Ernst des Lebens".

Vielfältige natürliche Nahrungsmittel als Energiequellen für Lebewesen (mit Preisschildern)

Lebende Systeme und die Herausforderung Entropie

Lebendigkeit muss allein aus biologischen und physikalischen Aspekten heraus durch eine kontinuierliche Energiezufuhr erhalten bleiben. Aber dies gelingt jedem Lebewesen nur temporär, immer zeitlich begrenzt. Eines im Leben ist sicher: der Tod. Irgendwann, zumeist nicht absehbar, siegt er über das Leben. Die lebendige Materie, der Körper wird zu "Staub".

Um als Kind wachen zu können, als Erwachsener überleben zu können und sich gegebenenfalls durch die Zeugung von Kindern selbst zu vervielfachen, ist Arbeit im physikalischen Sinne der Energietransformation notwendig. Dieses Lebensprinzip besteht jedoch im Konflikt mit dem "Grundgesetz des Universums", als das Physiker den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik bezeichnen.

Im ersten Hauptsatz der Thermodynamik wird die Grenze eines Systems definiert, innerhalb derer ein energetischer Prozess abläuft. Energien sind demnach innerhalb eines gechlossenen Systems umwandelbar, sie können jedoch nicht gebildet oder vernichtet werden. Neben diesem Energieerhaltungssatzes besteht mit dem zweiten Hauptsatz, dem Entropiesatz der Thermodynamik, jedoch ein Bezug zur Realität des Lebens, weil es in der Natur keine gänzlich geschlossenen Systeme gibt. Energie hat das Bestreben, sich gleichmäßig im Universum als Ganzem zu verteilen, wie die kalte Milch im warmen Kaffee (vgl. Suzman, 2021, S. 32). So verschwinden in Milliarden von Jahren auch Sonnensysteme. Unsere Sonne, haben Physiker berechnet, gibt noch ca. vier Milliarden Jahre Energie und Wärme ins Weltall ab, dann ist Schluss.

Verteilung der kalten Milch im warmen Kaffee, eine
uns Menschen zufällig erscheinende Verwirbelung und
Entropie

Zu diesem Entropiesatz gehört das Prinzip der Irreversibilität. Ist die kalte Milch vom Kaffee gewärmt oder die Sonne verglüht, dann ist dieser Prozess des Energieaustausches nicht mehr umkehrbar. Das Ereignis und die Zeit lassen sich nicht zurückdrehen. Eine Tasse mit heißem Tee gleicht sich der Raumtemperatur an, in der sie steht. Der Tee wird kühler, wenn der Raum kalt ist. Die Wärme als eine Energieform verteilt sich im Raum. Will man den Tee wieder warm bekommen, so bedarf es einer neuen, weiteren Energiezufuhr, damit sich die Atome und Moleküle des Teewassers wieder intensiver bewegen.

Entropie-Systeme und die Vergänglichkeit

Die Vergänglichkeit aller Dinge und allen Lebens ist uns Menschen, wenn wir mal dran denken mögen, sofort bewusst. Täglich kämpfen (arbeiten) wir dagegen an. Die Gebäude in den wir wohnen, bröckeln irgendwann. Die technischen Geräte, die wir täglich nutzen, verweigern recht zeitnah ihren Dienst. Die Berge, die wir im Urlaub genießen, erodieren. Die Bio-Marmelade im Kühlschrank produziert viel schneller Schimmel, als wir es ahnen können. Gerade aufgeräumte und sortierte Kinderzimmer verwandeln sich nach einer 10 minütigen Spielphase in eine unüberschaubare Chaoslandschaft.

Entropie-System Kinderzimmer

Rostende Fahrräder, kalter Tee, sterbende Menschen, scheiternde Nationalstaaten und Gesellschaftssysteme bis hin zu explodierenden Sonnen im Universum verdeutlichen uns Menschen die unterschiedlichen, kommenden und eben dann wieder gehenden Entropie-Systeme, die wir mit unserer Arbeit, unserem Energieaufwand, mal weniger gut, mal besser oder manchmal lieder auch gar nicht unter Kontrolle bringen können.

Das Kampf um Ordnung, die Erhaltung von Strukturen, sind der Versuch, Zustände mit geringer Entropie zu erzeugen. Wir investieren Kraft und Energie in geordnete Zustände, die uns wichtig sind, wenn auch manchmal genau diese einmal gefundene Lösung später zum Problem werden kann, weil sich eigentlich die Situation geändert hat und wir es gar nicht merken, dass uns diese Glaubenssätze, Einstellungen und Normen oder eben Handlungsweisen oder Wissenstände eigentlich sinnlos und unpassend erscheinen müssten.

Die Herausforderung des Lebens ist es, das Leben zu erhalten, das kostet Arbeit und Energie. Dazu müssen wir unterscheiden lernen, gegen welches Chaos oder gegen welche Entropien wir gegenan arbeiten können oder gar müssen. Welche Herausforderungen trauen wir uns zu? Für welche Herausforderungen haben wir Menschen die passende Kulturfaktoren, ausreichenden Fähigkeiten, Fertigkeiten, Wissenstände oder auch effektiven und effizienten Verhaltensweisen?

Es gibt viel mehr Möglichkeiten, dass etwas nicht ist, als das es ist. Oft ist die Entropie, das Chaos viel größer, als die Chance, die genau gewünschte Ordnung mit geringer Enropie zu erreichen. Ein Symbol dafür ist der Rubik-Cube.

Der Zauberwürfel: Rubik's-Cube als Drehpuzzle

Dieser Zauberwürfel mit seinen sechs Seiten und sechs Farben lässt sich mit einer ausgefeilten Gelenkmechanik in alle Himmelsrichtungen drehen und wurde in den 1980er zu einem flächendeckenden Spielphänomen. Er symbolisiert wunderbar das Problem des Chaos, gegen das wir Menschen anarbeiten und die seltene Ordnung, die wir erreichen können. Dieser Würfel bietet 4,3252 x 1019 falsche Lösungen (43.252.003.274.489.856.000, 43 Trillionen) und nur eine einzige "richtige" (s. "The Mathematics of the Rubik's Cube"). Mühsam können wir versuchen, mit Versuch und Irrtum, unser Ziel zu erreichen oder wir bemühen uns, eine Logik zu erkennen, Muster zu entdecken, die uns schneller befähigen, das System unter Kontrolle zu bringen.

Neben der sich verteilenden Wärmeenergie im Tee und den weiteren hier erwähnten Systemen mit hoher oder niedriger Entropie und unserem menschlichen Umgang damit, gibt es noch die Bewegungsenergie, für die sich Coriolis spielend und mathematisch interessierte.

Drehimpuls und Corioliskraft

In der Mechanik wird die Bewegungsenergie am besten durch ein Spielzeug symbolisier: den Kreisel. Um in Schwung zu kommen, benötigt der Kreisel externe Energie, einen Drehimpuls, der sich aus einem Bahndrehimpuls und einem Eigendrehimpuls zusammensetzt, um seinen entsprechenden Drall zu erhalten. Der Drall oder auch Effet spielt bei den Billardkugeln eine entscheidende Rolle. An welcher Stelle setzt die Kraft bei einer Kugel an? Was hat das für Auswirkungen?

Auch wenn Pierre-Simon Laplace (1749-1827) schon 1775 die Trägheitskräfte in der klassischen Mechanik, die in einem rotierenden Bezugssystem auftreten, mathematisch korrekt beschrieben hatte, so hat Gaspard-Gustave de Coriolis in seiner Billardbeschreibung den Effekt ausführlich erklärt. Dies führte dazu, dass bis heute die "Corioliskraft" bei Meterologen, wenn es um Hurrikans, Tornados oder auch nur einfache Wetterverwirbelungen bei Hoch- oder Tiefdruckgebieten geht, nach eben diesem wissenschaftlichen Billardspieler benannt ist.

Eines der ältesten Spielzeuge der Welt: Der Kreisel. Hier im Spielzeugmuseum Nürnberg "Spiel ist Wissenschaft"


Die Corioliskraft beschreibt zahlreiche Strömungsphänomene auf unserem Planeten Erde und wird von Meteorologen ständig für Vorhersagen berechnet. Selbst in der Ozeanographie beeinflusst diese Kraft die Meeresströmungen. Die beiden anderen Trägheitskräfte sind die Zentrifugalkraft und die Eulerkraft.

 

Kreisel in der Natur: Hurrikan, Wirbelsturm, Zyklon, Tornado, Verwirrbelungen bei Hoch- und Tiefdruckgebieten


Wir Menschen spielen auch gerne mit diesen Trägheitskräften. Wenn bei einem Karussel die Zentrifugalkraft eine zentrale Rolle spielt, so kommt bei einem Teufelsrad auf dem Jahrmarkt die Corioliskraft mit ihrer Wirkung für die Bewegungsabläufe beim Kreisen hinzu (s. Abb.).

"Teufelsrad" als Attraktion auf dem Jahrmarkt. Das Spiel mit der Coriolis- und Zentrifugalkraft.

 

Die Abstraktion des Spiels als Ausgangspunkt für Coriolis

Der Spieler Coriolis hat mit der Analyse des Spiels Fragen an die Wirklichkeit gestellt und diese mit seinem mathematischen Wissen so beantwortet, dass er zwei bis zum heutigen Tag wirksame und relevante Fragen der Menschheit beantwortet hat: Was ist "Arbeit"? Arbeit ist Energietransformation und damit die Grundlage jeden Lebens. Was ist ein "Dralleffekt"? Es ist eben nicht nur ein Effet der Billardkugel sondern eine der prinzipiellen drei Bewegungsenergien, die sich mit der Corioliskraft berechnen lässt. Meterologen nutzen seine Formeln bis heute für jede Wettervorhersage.

 

Literatur, Quellen:

1.) Coriolis, Gaspard Gustave Coriolis: "Théorie mathématique des effets du jeu de billard", Carilian-Goeury, Libraire-Éditeur, Paris 1835. Buch bei Google Books kostenfrei: Hier.

2.) Suzman, James (2020): "Sie nannten es Arbeit - Eine andere Geschichte der Menschheit", C.H. Beck München 2021.

3.) Moatti, Alexandre: "Gaspard-Gustave de Coriolis (1792-1843): un mathématicien, théoricien de la mécanique appliquée", Dissertation Universität von Paris, Okt. 2011. (PDF-Download)

4.) Erklärvideo von "Geographie - simpleclub" auf Youtube: "Die Corioliskraft - Wind und Wetter auf der Erde - Klima & Wetter Grundlagen 7", abgerufen am 04.01.2022.

Wikipedia: Gaspard Gustave de Coriolis (1792-1843)


Bildquellen: Wikipedia, Pixabay, Jens Junge