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ttt Titel Thesen Temperamente: Brettspiele

Einer der deutschen Brettspielklassiker ist "Mensch-ärgere-Dich-nicht". In 77% der deutschen Haushalte liegt dieses Spiel im Wohnzimmerschrank und ist damit das häufigste analoge spielbare Kulturgut (mehr als 95 Millionen verkaufte Exemplare). Wieso eigentlich? Die ARD Kultursendung "ttt - titel, thesen, Temperamente" hat auf ihrem Instagramkanal einen Zusammenschnitt aus der ARD-Brettspiel-Dokumention veröffentlicht.

ttt Brettspiele

ARD Kultursendung ttt - titel thesen temperatmente und Brettspiele

"Mensch-ärgere-Dich-nicht" ist DAS Brettspiel und viele Menschen in Deutschland verbinden mit diesem Spiel ihr Verständnis zum analogen Kulturgut. Aber nur die wenigsten Menschen wissen, dass Brettspiele viel mehr sind als ein Familienspaß oder ein Zeitvertreib. Auch der Ursprung dieses Spieles ist vielen Spieler:innen nicht bewusst.

Das Spielprinzip kommt ursprünglich gar nicht aus Deutschland. Der Unternehmer Friedrich Josef Schmidt hatte in Großbritannien das dortige Spiel "Ludo" entdeckt und es für den deutschen Markt 1910 modifiziert. Ab 1914 ging es in Massenproduktion.

Die Kultursendung der ARD, ttt - titel thesen temperamente hat sich aus der dreiteiligen ARD-Dokumentation des Hessischen Rundfunks von 2021 einen Kurzfilm (2:33 Min.) herausgeschnitten, wo der Spielwissenschaftler Jens Junge zu Wort kommt.

"Für viele Menschen sind Brettspiele nur Schach, Dame, Mühle, Scabble, Monopoly und Mensch-ärgere-Dich-nicht. Das sind so die Standardspiele, die in vielen deutschen Schränken ihr Dasein fristen. Aber Brettspiele sind so viel viel mehr."

Prof. Dr. Jens Junge, Spielwissenschaftler, Ludologe, zum Kulturgut Spiel

"Inzwischen kommen jedes Jahr (international) tausende von Spielen auf den Markt und bringen auch immer mehr Themen auf den Spieltisch."

"Mein Name ist Jens Junge, ich bin Direktor des Institus für Ludologie, also Ludologe, Spielforscher. Ich bin zum Brettspiel gekommen durch meine Eltern."

Brettspiel "Diplomacy" von Allan B. Calhamer, der dieses
Spiel 1959 als Harvard-Student entwickelte.


"Mein Opa war im Ersten Weltkrieg und er war einer der verletzten Soldaten. Er war dreimal in Lazaretten und wurde dann wieder an die Front geschickt. Und eben in einem Lazarett hat er ein Spiel - Mensch-ärgere-Dich-nicht von dem Herrn Schmidt - als Freizeitbeschäftigung zur Verfügung gestellt bekommen. Und so kamen schon sehr früh Brettspiele in unsere Familie. Und wenn man als Kind gewonnen hatte, dann gab es noch mal Naschis, gab es Nachtisch obendrauf."

Opa Junge im Ersten Weltkrieg (1914-1918) das dritte Mal im Lazarett, am Tisch sitzend, rechts.


"Mensch-ärgere-Dich-nicht ist von dem Herrn Schmidt in England entdeckt worden, dort hieß das Spiel Ludo."


"Ein Brite, der als Kolonialherr in Indien war, hat dort das Spiel entdeckt. Das heißt dort Pachisi und es ist ein sehr spirituelles Spiel. Es geht darum, wenn wir dieses Spiel spielen, herauskommen aus dem Leid des Lebens. Dass wir immer Nackschläge kriegen, dass wir wieder rausfliegen, sterben, die Wiedergeburt stattfindet."


"Und das Spielziel ist es, im schmerzfreien Nirvana anzukommen. Im Paradies endlich aus dem Elend des Lebens herauszukommen. Und deshalb war der deutsche Herr Schmidt sehr erfolgreich, weil er 3.000 von diesen Mensch-ärgere-Dich-nicht-Spielen die er hat produzieren lassen, an die verletzten Soldaten im Ersten Weltkrieg 1914 an die Lazarette geschickt hat. Und natürlich hatten diese Menschen dort in den Lazaretten, nachdem sie das Elend an der Front erlebt haben, nichts Besseres im Kopf, als gerne nach Hause kommen zu wollen. Und genau das lieferte dieses Spiel: die Hoffnung, die Vision, in ein heiles Zuhause zu kommen."

ARD Kultursendung ttt titel thesen temperamente: Brettspiele, Kurzfilm auf Instagram: HIER.


Spiele sind ein Dialog mit der Welt, sie sind ein Dokument der Menschheitsgeschichte. In Spielen verarbeiten Menschen die Wirklichkeit, fliehen vielleicht vor ihr oder suchen nach Ideen und Visionen, wie das Leben anders sein könnte. Spiele sind ein Kulturgut und Brettspiele ein eindeutiges Zeitdokument, das es wert ist, in der Deutschen Nationalbibliothek (DNB) gesammelt zu werden, damit es als Lehr- und Forschungssammlung für zukünftige Fragestellungen und Recherchen zur Verfügung steht. Es bleibt zu hoffen, dass die deutsche Politik dies endlich wahrnimmt und die Bibliothek mit entsprechenden finanziellen und personellen Mitteln ausstattet, damit die Kulturform der Spiele, entwickelt von Spielautoren und gestaltet von Illustratoren, ebenso wie Bücher oder Musik, als deutsches Kulturgut archivarisch erhalten und nutzbar bleibt.