Zum Hauptinhalt springen

Brettspiele spielen - Brettspielkultur in Deutschland ist Immaterielles Kulturerbe der UNESCO

Die deutsche UNESCO-Kommission hat zusammen mit der Kultusministerkonferenz des Bundes und der Bundesbeauftragen für Kultur und Medien (BKM) mit ihrer Pressemitteilung vom 26.03.2025 die neuen Einträge im bundesweiten Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes (IKE) verkündet. Die Kulturform "Brettspiele spielen - Brettspielkultur in Deutschland" ist darin nun (endlich) aufgenommen. Als Kulturträger gelten u.a. die zahlreichen Brettspielcafés, Spieleclubs und Vereine, die ehrenamtlich diese Kulturform prägen und gestalten. Mit ihrer Arbeit ist ein öffentlicher, nicht kommerzieller Zugang zu dieser Kulturpraktik des Spielens in Gemeinschaften gewährleistet.

IKE Immaterielles Kulturerbe UNESCO

Brettspiele spielen - Brettspielkultur in Deutschland, der lange Weg zu mehr Anerkennung

Vorläufer und Vorbereitungen

Der Spieleautor Reinhold Wittig (*1937), Edition Perlhuhn und Inititator für die Göttinger-Spieleautorentreffen ab 1983, hatte 1985 zahlreiche Landes- und Bundesministerien angeschrieben, um für die Brettspielkultur in Deutschland eine politische Anerkennung zu erreichen. Sein prägendes Motto war und ist: "Spiel kann Buch" (s. unten). Seine Schreiben aus den 80ern sind als Initialzündung in der Beschreibung und Dokumention des langen Antragsweges enthalten (s. hier IKE). 

Reinhold Wittig mit seinem Brettspiel "Tolstoi", beim es darum geht, den eigenen Claim abzustecken und rechtzeitig wieder zu Hause anzukommen. Göttingen, 06.04.2025

Reinhold Wittig zählt mit seinen Aktivitäten zu einem der wichtigsten Initiatoren für die inhaltlichen und kulturpolitischen Entwicklungen der aktuellen Brettspielszene in Deutschland. Der Autor des Buches "Kulturgut Spiel" und Spieleerfinder des "Verrückten Labyrinths", Prof. Dr. Max Kobbert, beschreibt seinen Weg zum Erfolg durch Reinhold Wittig im Interview mit Jens Junge von 2023 auf Youtube (ab Min. 8:45).

Prof. Dr. Max Kobbert im Gespräch mit Prof. Dr. Jens Junge am 30.09.2023, Youtube-Video (56:49 Min.)

Der Professor für Wahrnehmungspsychologie und Spieleautor Max J. Kobbert (*1944) hat mit seinem Buch "Kulturgut Spiel"  2010, die elementare kulturelle Bedeutung von Spielen für die kognitve und soziale Entwicklung von Kindern, aber auch Erwachsenen, eindringlich beschrieben. "Den Eigenwert des Spiels entwickelt der Autor aus dem Gedanken heraus, dass das Spiel nicht nur dem Leben dient, sondern selbst Teil des Lebens ist." (s. Buchrückseite, 1. Auflage, 2010).

 

Max Kobbert: "Kulturgut Spiel", Münster 2010, 1. Auflage, Abschiedsgeschenk einer Projektgruppe des Fachbereiches Design der Fachhochschule Münster an ihren Professor für Wahrnehmungs- und Kunstpsychologie zu seiner Emeritierung 2009

Ferdinand de Cassan (1949-2017) vom österreichischen Spielemuseum setzte noch kurz vor seinem Tod im Jahre 2017 den Impuls, in Deutschland den seit 2013 möglichen Antrag auf die Anerkennung des Brettspiels als Immaterielles Kulturerbe durch Karin Falkenberg (ehem. Leiterin des Deutschen Spielearchives in Nürnberg) und Tom Werneck (Gründer des Bayerischen Spiele-Archives Haar e.V.) schreiben zu lassen (s. historischen Rückblick).

Dagmar de Cassan und Jens Junge am 29.08.2019 in Wien mit dem Erinnungsfoto von Ferdinand de Cassan

Und eigentlich ist seit Jahrhunderten die Kraft des Spielens bekannt, besonders seit der Aufklärung und der daraus entstandenen Reformpädagogik. Martin Ehlers (1732-1800) hat mit seinen "Betrachtungen über die Sittlickeit der Vergnügungen" (1778) schon einen ersten Überblick über die verschiedenen Erscheinungsformen des Spiels geliefert und deren Wirkungsweisen. Richtungsweisend ausgebaut, interpretiert sowie auch praktisch umgesetzt hat dies Johann C.F. GutsMuths (1759-1839), dokumentiert in seinem Buch "Spiele zur Übung und Erholung des Körpers und des Geistes" von 1796. Und aus gleicher Zeit, von 1795, stammt von dem Schriftsteller Friedrich Schiller (1759-1805) sein berühmtes Zitat aus dem "Briefe über die ästhetische Erziehung" (16. Brief): „Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“  Die vermittelnde Instanz zwischen der menschlichen Affektionalität und der Rationalität ist für Schiller der Spieltrieb.

Wer sich mit der Menschheitsentwicklungsgeschichte befasst hat, der weiß, dass Brettspiele historisch seit über 5.000 Jahren durch Archäologen belegt sind (s. Senet und Königliches Spiel von Ur) und die ersten Regelspiele als Glücksspiele von Enthnologen zusammen mit der Sprachentwicklung um ca. 30.000 v.Chr. angenommen werden (s. Machtspiele und Glücksspiele).


Astragale (Knochen als Würfel) und antike Spielsteine aus dem ägyptischen Brettspiel "Senet" (mind. 3.000 v.Chr.) aus der Sammlung Max Kobbert, gestiftet an das Nürnberger Spielzeugmuseum

Brettspielkultur in Deutschland und ihre Gegner

Warum aber sind Brettspiele als wichtige Medienwerke bis heute in Deutschland nicht ausreichend anerkannt? Spielen gilt, zum Beispiel beeinflusst durch die deutsche Arbeitsphilosophie, als nicht zielführend, als sinnloser Zeitvertreib, als nutzlose Beschäftigung zur Verhinderung von Langeweile. Spielen gilt als Kinderkram, als luxeriöses Vergnügen, das alleinig der Unterhaltung dient. Spielen ist Spaß und gehört in die Freizeit, der Ernst des Lebens ist die produktivitätssteigernde, effektiv und effizient auszuführende Arbeit. Arbeit ist Pflichterfüllung, wie ein Gottesdienst, da kann das Spielen nur eine unpassende und unangemesse Ablenkung zum eigentlichen Auftrag und Lebenssinn sein. Nicht nur die katholische Inquisition im Mittelalter (s. Johannes Capistranus), auch Wilhelm Heinrich Riehl (1823-1897), Beobachter der Industriealisierung und Begründer der wissenschaftlich ausgerichteten Volkskunde (heute Ethnologie, Kultur- und Sozialwissenschaft), war mit seinen subjektiv geprägten Generalisierungen und seinen sehr konservativen Ansichten ein Verfechter der "Deutschen Arbeit" (s. "Die deutsche Arbeit", 1861). Da stört Spiel nur.

Dass das Spiel nicht allein Ablenkung von der Pflichterfüllung ist, wussten damals schon Ehlers, Trapp, GutsMuths, Schiller, Schaller und wissen viele spielerfahrende Menschen und zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissenschafter unterschiedlicher Disziplinen bis heute. Trotzdem hat es das Spiel als prägende Alltagskultur auch im 21. Jahrhundert mit seiner Anerkennung noch sehr schwer.

Buch "Die deutsche Arbeit" von Wilhelm Heinrich Riehl (1861, 1883)Wilhelm Heinrich Riehl: "Die deutsche Arbeit", 1861

Um aus dieser negativen Grundstimmung gegenüber dem Medium und der Kulturtechnik Brettspiel einen wesentlichen weiteren Schritt herauszukommen, die mit ihren generell ablehnenden Einstellungen zum Spiel bis heute zu gravierenden Nachteilen für diese Kulturform sorgen, ist die Motivation zu einem solchen Antrag grob beschrieben.

Brettspiele spielen - Brettspielkultur in Deutschland mit vier Anläufen

Prof. Dr. Karin Falkenberg, im Jahre 2017 Leiterin des Nürnberger Spielzeugmuseums und des Deutschen Spielearchives, hat zusammen mit Dr. Tom Werneck, dem Gründer des Bayerischen Spiel-Archives e.V. in Haar bei München den ersten Antrag in Bayern formuliert, die zwei benötigten Gutachten kamen von Ernst Kick (Spielwarenmesse Nürnberg) und Prof. Dr. Jens Junge (Institut für Ludologie). Die ausführlichere Geschiche der vier Antragsverfahren steht in einem älteren Artikel: HIER.

Der erste Antrag wurde in Bayern nicht positiv aufgenommen und in eine Korrekturschleife für eine weitere Antragsphase zwei Jahre später geschickt. Das Antragsteam wollte auf keinen Fall aufgeben, trotz fehlender konkreter Hinweise nach einem persönlichen Besuch bei der bayerischen UNESCO-Kommission in München. So ergab sich ein erneuter Anlauf für Antrag Nummer zwei 2019, dieses Mal war Karin Falkenberg privat dabei, weil ihr die neue Leiterin des Deutschen Spielearchives in Nürnberg (ab 2018) eine offzielle Antragsstellung untersagte. So entstand die kuriose Situation, dass beim zweiten Antrag das Spielzeugmuseum Nürnberg und das Bayerische Spiele-Archiv als Orte zur Förderung des Brettspiels auf die bayerische Landesliste kamen und das Deutsche Spielarchiv Nürnberg ohne eigene Zustimmung mit dabei war. Aber die bayerische Landesregierung weigerte sich, das Thema "Brettspiele spielen - Brettspielkultur in Deutschland" für die Aufnahme in das bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes der UNESCO vorzuschlagen.

v.r.n.l: Prof. Dr. Karin Falkenberg, Leiterin des Spielzeigmuseums Nürnberg und bis 2018 auch für das Deutsche Spielearchiv zuständig, hier privat am 27.04.2019 bei der "Redaktionskonferenz" für den zweiten Antrag in Bayern mit Dr. Tom Werneck, Bayerisches-Spiele-Archiv Haar bei München und Prof. Dr. Jens Junge, Institut für Ludologie, Berlin

Das Antagsteam kam nun überein, dass es für einen dritten Antrag ein anderes Bundesland braucht, um auf die Bundesliste der UNESCO zu kommen. Weil Jens Junge das mit 24,7 Mio. Euro geförderte Landesprojekt der Spiele-Erlebniswelt "Yosephinum" in Altenburg bei Leipzig mit angeschoben hatte, war die Wahrscheinlichkeit recht groß, dass das Bundesland Thüringen die Brettspielkultur in Deutschland für die Aufnahme auf die Bundesliste vorschlagen könnte. Vorerst Fehlanzeige. In Thüringen lagen die Prioritäten im Jahre 2021 anders. Die Glasblaskunst aus Lauscha stand auf der Tagesordnung und dort die historischen, gläsernen Christbaumkugeln, die es auf die Bundesliste der UNESCO geschafft haben. Das Brettspiel-Antragsteam hatte bis zu diesem Zeitpunkt nichts von dieser Kulturform aus Lauscha gehört und recherchierte nach kunstvollen handwerklichen Produkten aus dieser Stadt. Es wurde fündig, siehe Foto, Prost! ;-)

Mundgeblasene Glaskunst aus der thüringischen Stadt Lauscha

Der vierte Antrag, der zweite in Thüringen, kam 2023 mit den gewünschten Änderungen zum Entscheidungsgremium und so kam "Brettspiele spielen - Brettspielkultur in Deutschland" am 16. Mai 2024 auf die Landesliste und wurde von der thüringischen Landesregierung zur Aufnahme auf die Bundesliste vorgeschlagen. Endlich einen wesentlichen Schritt weiter geschafft! Nun galt es, auf die Kultusministerkonferenz der 16 Bundesländer Anfang 2025 zu gucken, die dem Antrag zustimmen musste. Selbstverständlich galt es auch, vorbereitend darüber zu reden.

In Erfurt bei der Urkundenverleihung am 16.05.2024: v.l.n.r.: Maria Schranz (Spielefest Wien), Staatssekretärin Tina Beer, Prof. Dr. Karin Falkenberg (Deutsches Spielearchiv Nürnberg bis 2018), Jennifer Kühnold-Engel (Altenburger Spieletage), Gabriele Orymek (Altenburger Spieletage), Sarah-Ann Orymek (Altenburger Spieletage), Christian Wallisch (Ali-Baba-Spieleclub Nürnberg), Walter Schranz (Spielefest Wien), Dagmar de Cassan (Spielefest Wien und Spenderin von 31.000 Brettspielen für Altenburg), Tom Werneck (Bayerisches Spiele-Archiv, Spielekreis Haar), Prof. Dr. Jens Junge (Institut für Ludologie, Berlin und Spielezeitcafé Flensburg) und Michael Schöne (Altenburger Spieletage). Foto: TSK

Bewerbungsformular für das Bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes der UNESCO

Für die jeweilige Bewerbungsphase alle zwei Jahre kann es von der UNESCO-Kommission neue Formulare für die Bewerbung zur Anerkennung geben. Wir haben uns beim vierten Antrag, der endlich erfolgreich war, mit dem Formular der sechsten Antragsphase, 2023-2025, beschäftigt.

Um die Transparenz herzustellen, was wir denn über die Brettspielkultur in Deutschland an die UNESCO-Kommission geschrieben haben, damit wir unser Ziel der kulturpolitischen Anerkennung erreichen, hier die einzelnen über Jahre gereiften Textbausteine ;-)

Bewerbungsformular als PDF zum Download von der UNESCO-Seite (sechste Bewerbungsrunde 2023-2025): HIER. Das ausgefüllt Formular:

1. Bezeichnung der Kulturform

"Brettspiele spielen - Brettspielkultur in Deutschland"

[Anmerk. d. Red.: Ein Antrag für das allgemeine "Kulturgut Spiel" wäre sicherlich ludologisch sinnvoll gewesen, aber leider wenig erfolgsversprechend, weil sich die UNESCO-Kommission konkrete Kulturformen zur Antragsstellung wünscht. Unter "Kulturgut Spiel" würden natürlich auch Rollenspiele, Konstruktionsspiele, Rätselspiele etc. etc. fallen. In den Diskussionen war es schon kritisch, dass wir das Thema so weit formuliert haben, dass wir damit die Schachkultur oder auch die Go-Kultur mit inkludieren, die ja auch eigene Anträge formulieren könnten. Unser Fokus musste dann über die ehrenamtlich geführten Spieleclubs und Vereine für die Brettspielkultur gehen, weil die UNESCO leider auch die kommerziellen Ausprägungen der SPIEL Essen oder der Spiel-doch-Messe in Dortmund kritisch sieht. Ergänzend durften wir die Messen erwähnen, aber als alleiniger Kulturträger wären sie nicht ausreichend gewesen, dazu brauchte es das Ehrenamt und zum Glück noch nicht die Gemeinnütigkeit, die ja gerade bei Pflege der Brettspielkultur durch die deutschen Finanzämter oft verwehrt wird. Genau das sollte auch die Anerkennung für die Brettspielszene vereinfachen.]

Bewerbung um Aufnahme als:
a) Kulturform (X)
b) Gute-Praxis-Beispiel der Erhaltung Immateriellen Kulturerbes (s. besonders Punkt 10)

2. Ansprechperson bzw. Vertretung
Bitte geben Sie Ihre vollständigen Kontaktdaten mit Namen, Anschrift, E-Mail-Adresse und Telefonnummer an. Nennen Sie bitte außerdem eine Ansprechperson, ihre E-Mail-Adresse sowie eine Internetadresse zur Veröffentlichung auf www.unesco.de/ike.

"Name: Gabriele Orymek (stellvertretende Vorsitzende des Vereins "Spielzeit weltweit e.V., Träger von  "Stadt-Land-spielt")
Institution: Altenburger Spieletage, als eine Vertreterin von Stadt-Land-spielt

Gabriele Orymek, Altenburger Spieletage und "Spielzeit weltweit e.V."


Name: Christian Wallisch (Präsident)
Ali Baba Spieleclub e.V. (aus Nürnberg, Köln, Stuttgart, Erlangen, Regensburg, Ingolstadt, Hunsrück, Berlin, Bamberg, Chemnitz, Neubrandenburg), Mitglied und IKE-Beauftrager: Prof. Dr. Jens Junge, Institut für Ludologie, Berlin"

Christian Wallisch (1. stehend von rechts) mit seinem Team vom Ali-Baba-Spieleclub in Nürnberg

3. Art des Immateriellen Kulturerbes
Bitte den/die zutreffenden Bereich/e ankreuzen und kurz in Stichpunkten erläutern (Mehrfachnennung möglich, aber nicht erforderlich).

a) mündlich überlieferte Traditionen und Ausdrucksweisen
Brettspielregeln und Verhaltensweisen werden von Generation zu Generation tradiert.

e) traditionelle Handwerkstechniken
Spielmittelproduktion (Druck, Stanzen, Falzen, Drechseln, Illustrieren, Spritzguss etc.)

f) anderer
Adaption und Variation von gesellschaftlichen Regeln. Modellierung der Wirklichkeit.

4. Geografische Lokalisierung
Nennen Sie bitte die Ortschaft/en und/oder Region/en, in denen die Kulturform ausgeübt und gepflegt wird.

"Brettspiele sind in allen Bundesländern verbreitet. Die Altenburger Spieletage sind ein Beispiel für eine öffentliche Kulturpflege. Kristallisationspunkte für die deutsche Brettspielkultur allgemein sind in zahlreichen Städten und Gemeinden regelmäßig stattfindende Spieleveranstaltungen in Spieleclubs (mind. 1x wöchentlich), Spielecafés (täglich), Volkshochschulen, Bibliotheken (3. Ort-Konzept), Jugendzentren, Kirchengemeinden und auf Brettspielmessen (z.B. SPIEL in Essen, 193.000 Besucher in 2023).  Die Initiative Stadt-Land-Spielt findet jährlich in über 200 Städten in Deutschland statt. Der Ali Baba-Spieleclub hat 940 Mitglieder (Stand 15.10.2023). In seinen 11 Regionalverbänden wird mind. wöchentlich einmal gespielt. Brettspiele werden ebenso privat in Familien oder an Spieleanbenden mit Freunden gespielt."

Screenshot von Stadt-Land-Spielt, Standorte 2024

Sofern zutreffend, bitte zusätzlich ankreuzen und benennen:

(X) in mehreren Ländern in Deutschland verbreitet:
"in allen Bundesländern"

(X) über Deutschland hinaus in Europa verbreitet:
"German-style Board Games führten zu den Eurogames (s. ARD-Beitrag "Board Games" des HR)"

(X) über Deutschland hinaus weltweit verbreitet:
"German Board Games" sind die in Deutschland entwickelten Spiele, weltweit bekannt, s. BGG"

5.Kurzbeschreibung
Die Kurzbeschreibung dient der knappen Darstellung z.B. im Internet. Gehen Sie dabei auf die gegenwärtige Praxis, das spezifische Wissen und Können, die nachweisbare Präsenz seit mehreren Generationen sowie auf Aktivitäten zur Erhaltung und Weitergabe an künftige Generationen ein. Empfehlung: Füllen Sie die zusammenfassende Kurzbeschreibung erst nach Beantwortung aller Fragen aus. (zwischen 3000 und 4500 Zeichen inkl. Leerzeichen)

"Die Brettspielkultur lebt im generationsübergreifenden, inklusiven und integrativen Spiel. Das Erleben kulturtypischer Regeln wird von Generation zu Generation weitergegeben (s. unten, 12. Dokumentation der Kulturform, s. Laudatio der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel zum Sonderpreis Start Social für das Spielecafé der Generationen 2020, s. ARD-TV-Dreiteiler Board Games – Willkommen in der Welt der Brettspiele 2021 (Teil 1, Teil 2, Teil 3), s. Erklär-Video vom Altenburger Spieletag, Gabriele Orymek).

Das Besondere an der deutschen Brettspielkultur hat sich in den vergangenen 50 Jahren herausgebildet. Das Brettspiel wurde durch die aufkommenden Autorenspiele "erwachsen", sprach ab den 1970ern mit mehr taktischen und strategischen Spielen erwachsene Menschen an (z.B. "Acquire" von Sid Sackson, 3M). Aus diesem Grund begannen sich zum einen Tages- und Wochenzeitungen (Frankfurter Rundschau, Die Zeit etc.) für die Brettspiele im Feuilleton zu interessieren, es etablierten sich dadurch die ersten Spielekritiker (Eugen Oker, Tom Werneck, Bernward Thole etc.). Aus deren Kreis hat sich der inzwischen international bedeutende Preis "Spiel des Jahres" ab 1979 entwickelt. Darüber hinaus entstanden zum anderen in den 1970ern Amateur-Fanszines, die sich mit dem Phänomen der Brettspiele intensiv auseinandersetzten (z.B. "Joker", "Pöppel-Revue"). Diese Begeisterung für das Kulturgut Spiel zeigt sich bis heute in zahlreichen, von Amateuren betriebenen Youtube-Kanälen. Seit 1981 erscheint bis heute kontinuierlich die Fachzeitschrift "SpielBox" mit Spielerenzensionen, Spieleautorenportraits und Hintergrundberichten. Insgesamt führte diese mediale Präsenz zu mehr Brettspielspielenden, die das Bedürfnis verspüren, regelmäßig auch in öffentlichen Spielerunden zur Pflege ihres Kulturgutes zusammenzukommen.

Seit den 1970ern gibt es in Volkshochschulen Brettspielabende in Deutschland. Der Verein "Spiel des Jahres" verlieh jährlich unter der Schirmherrschaft der damaligen Familienministerin Antje Huber (SPD) in der Volkshochschule in Essen seine ersten Spielepreise. So kam es 1983 begleitend zur Preisverleihung zu den ersten "Deutschen Spielertagen", die als öffentliche Spielveranstaltung für die SpielBox-Abonnenten konzipiert wurde. Daraus entstand in 40 Jahren die weltweit größte Publikumsveranstaltung für Brettspiele, die SPIEL Essen, inzwischen betrieben von der Nürnberger Spielwarenmesse e.G., die mit 193.000 Besucherinnen und Besuchern in 2023 stattfand. Ebenfalls 1983 startete Reinhold Wittig in Göttingen das jährliche Spiele-Autoren-Treffen. Aus diesen Treffen heraus entstand 1991 die "Spiele-Autoren-Zunft e.V. (SAZ)" als Zusammenschluss kreativer Spieleerfinder mit heute mehr als 600 Mitgliedern. Ebenso 1991 gründete sich der Ali Baba Spieleclub in Nürnberg. Parallel zu diesen sich dynamisch entwickelnden Institutionen gründeten sich deutschlandweit zahlreiche weitere Spielclubs, Spielekreise und Spielecafes, die ehrenamtlich zur Pflege des Kulturgutes Brettspiel betrieben werden, wo täglich oder zumindest wöchentlich Menschen zum Spielen zusammenkommen, ähnlich wie in Skat- oder Schachvereinen, nur mit einem vielfältigerem Spieleangebot.

Auf der Basis dieser Entwicklungen der 1970er und 1980er Jahre in Deutschland hat sich das Medium Brettspiel als Kulturfom in besonderem Maße als Autorenspiel weiterentwickelt. Es entstanden die "German Board Games", die sich als "Eurogames" mit modernen Brettspielklassikern international etablierten (z.B. "Siedler von Catan" von Klaus Teuber 1995, "Carcassonne" von Klaus-Jürgen Wrede 2000, "Agricola" von Uwe Rosenberg 2007). Beleg: https://en.wikipedia.org/wiki/Eurogame.

Spielen erzeugt persönliche Gemeinschaftserlebnisse sowohl in der Familie als auch auf öffentlichen Spielveranstaltungen, ist generationsübergreifend und integrationsfördernd wirksam. Spiele sind nicht prinzipiell unschuldig. Spiele können als wirksames Medium eingesetzt werden, um Informationen gezielt oder gar manipulativ zu verbreiten. Da Brettspiele direkt und indirekt Wissen vermitteln, wurden sie stets mit kulturrelevanten Themen unterlegt und leider auch vom Nationalsozialismus ideologisiert. Auch heute werfen aktuelle Geschehnisse neue Fragen nach Frauenfeindlichkeit, Antisemitismus und Rassismus oder Klimaschutz, Artenschutz und Naturverbundenheit auf und werden aktiv als Brettspielthemen umgesetzt und in der Spieleszene besprochen und bewertet sowie als Forschungsgegenstand in der Spielwissenschaft behandelt."

Spiel-doch-Messe, damals noch in Duisburg 2019 mit ihrer Spielausleihe

6. Beschreibung der Kulturform

a) Heutige Praxis
Beschreiben Sie bitte die heutige Praxis und Anwendung der lebendigen Kulturform – die Motivation der Aus- oder Aufführung, die Techniken, die Regeln, den Grad der Professionalität, sowie die Bedeutung der Kulturform für die betreffende/n Gemeinschaft/en. Beschreiben Sie vor allem auch den identitätsstiftenden Charakter der Kulturform. (zwischen 1200 und 2000 Zeichen inkl. Leerzeichen)

"Praxis und Anwendung:
Traditionell werden Brettspielkenntnisse in der Familie von den Eltern an die Kinder, den Großeltern an die Enkelkinder oder von Freunden an Freunde weitergegeben. Bestehende, konkrete Maßnahmen zur Erhaltung und Förderung der Brettspielkultur sind regelmäßige, öffentliche Veranstaltungen in Spieleclubs und Vereinen (täglich oder mind. wöchentlich), Vorträge, Berichterstattungen in Spielezeitschriften und -Blogs, Spieleautorentreffs.

Technik und ihre Bearbeitung:
Die Brettspielkultur lebt von den Entwicklungen durch Amateure und wenige Profis. Neue Brettspiele kann prinzipiell jeder entwickeln. Für Einsteiger gibt es z. B. den "Leitfaden für Spieleerfinder" von Tom Werneck. Austauschforen sind  Spieleautorentreffen in Göttingen und Nürnberg, die Spiele-Autoren-Zunft bietet ebenfalls Unterstützung und Weiterbildung an.

Erstes Spieleautoren-Treffen in Göttingen, 1983



Professionalität:
Die Brettspielkultur wird neben den ehrenamtlichen Brettspielveranstaltungen bundesweit auch professionell durch Großveranstaltungen wie der jährlichen „SPIEL“ in Essen, der „Spiel doch!“ in Dortmund oder der „BrettspielCon“ in Berlin vorangebracht.

SPIEL Essen, Besucherandrang in Halle 6, 2024, Besuchertickets ausverkauft


Bedeutung und identitätsstiftender Charakter:
Die Brettspielkultur lebt in Deutschland besonders durch die in Spieleclubs, Spielecafes, Spieletreffs, Vereinen und Ludotheken ehrenamtlich tätigen Menschen, die diesem Kulturgut damit eine Öffentlichkeit und einen regelmäßig, uneingeschränkten Zugang in über 400 Städten und Gemeinden vermitteln. In Thüringen z.B. in "Altenburger Spieletage" und "Tillis Spielecafe" in Jena. Bundesweit ist der "Ali Baba Spieleclub e.V." mit seinen 940 Mitgliedern in 11 Städten der größte Kulturträger. Der "Rollen & Brettspielverein Thoule 1987 e.V." aus Karlsruhe zählt 600 Mitglieder."

b) Weitergabe von Wissen und Können
Bitte erläutern Sie, welches spezifische Wissen und Können von Generation zu Generation weitergegeben wird. Was genau wird im Detail wie übermittelt? (zwischen 1200 und 2000 Zeichen inkl. Leerzeichen)

"Brettspiele haben Aufforderungscharakter: „Komm, spiel mit mir!“ Vom Spieleautor mit Spielregeln ausgestattet, ist in ihnen die Vermittlung von spezifischem Wissen und Können implementiert.

In Brettspielen werden sämtliche anthropologische Konstanten thematisch verhandelt. Fragen zu Natur, Liebe, Arbeit, Herrschaft und Tod bilden Herausforderungen und Konflikte abstrakt ab, aus denen sich heraus sich spielerische Herausforderungen bilden. Aus dieser Vielfalt heraus lassen sich verschiedene Spieltypen bei den Menschen identifizieren, die ein sehr unterschiedliches Wissen und Können vermittelt bekommen. Sucht jemand im Spiel Aufregung, Action, Überraschungen oder eher Entspannung, Kooperation und Kontemplation? Sucht jemand im Spiel ein immersives, narratives Erlebnis oder möchte jemand sich im Wettbewerb mit anderen beweisen? Dabei können "Erklärbären" in den Spieleclubs unterstützen (s. 7a).

Weiblicher "Erklärbär" auf der SPIEL '21, trotz Pandemie, 93.600 Besuchende, 2024: 204.000 Besuchende


Konkret wird das spezifische Wissen und Können in vielfältigen Brettspielformen vermittelt:  
Aktions- und Reaktionsspiele, Bewegungsspiele, Buchstaben-, Wort- und Sprachspiele, Deckbauspiele, Escape-Spiele, Fantasy-Spiele, Gedächtnisspiele, Geschicklichkeitsspiele, Hör- und Sprechspiele, Knobelspiele, Kommunikationsspiele, Konstruktionsspiele, Kreativitätsspiele, Krimi- und Detektivspiele, Legacy-Spiele, Legespiele, Lernspiele, Logikspiele, Partyspiele, Pen & Paper-Spiele, Planspiele, Quartettspiele, Quiz-Spiele, Rätselspiele, Reaktionsspiele, Rechenspiele, Roll-and-Write-Spiele, Rollenspiele, Simulationsspiele, Social-Deduction-Spiele, Strategiespiele, Tabletop-Spiele, Therapeutische Spiele, Verhandlungsspiele, Wahrnehmungsspiele, Wissensspiele, Würfelspiele usw.

Spielmerkmale sind spannende und spannungsgeladene Ambivalenz, Nichtalltäglichkeit, Sinnstiftung, Flow-Erlebnisse, Gegenwartsbezug und Feedbacksysteme. Das Wissen um die entsprechenden Spielmechaniken, die diese Merkmale mit emotionalen Spielerlebnissen verbinden, wird u.a. auf Spiele-Autoren-Treffs vermittelt."

c) Entstehung, Wandel und Weiterentwicklung
Bitte geben Sie an, wann und wie die Kulturform entstanden ist, wie sie sich im Laufe der Zeit verändert hat und wie sie sich aktuell dynamisch weiterentwickelt. Beschreiben Sie dabei ganz konkret wie dadurch über die Generationen hinweg Kontinuität, aber auch Wandel vermittelt werden. (zwischen 1200 und 2000 Zeichen inkl. Leerzeichen)

"Inhalt und Gestaltung von Brettspielen sind stets Spiegel der jeweiligen kulturellen Rahmen. Soweit sich kulturhistorische Entwicklungen zurückverfolgen lassen, existierten Brettspiele bereits in alten Kulturen: Ägypten, Griechenland, Persien, Indien, China. Beispiele sind das Senet-Spiel in Ägypten, ca. 3100 v. Chr., oder das Königliche Spiel der Sumerer von Ur, ca. 2600 v. Chr. Brettspiele sind als Gesellschaftsspiele Abbilder und Modelle von komplexen Gesellschaftsstrukturen und Glaubenssystemen.

In den bürgerlichen Salons des 18. Jahrhunderts nutzten Spieler künstlerisch hochwertig gefertigte Spielbretter. Erklärungen von Salon-Brettspielen verfasste der Pädagoge Johann Christoph Friedrich GutsMuths (1759 – 1839) im Geiste der Aufklärung.

Das aus Indien stammende Spiel „Pachisi“, das die Glaubensform der Reinkarnation spiegelt, wurde von dem Deutschen Josef F. Schmidt 1910 adaptiert und 1914 als "Mensch-ärgere-Dich-nicht" produziert, um damals 3000 Spiele in die deutschen Feldlazarette während des Ersten Weltkrieges zu schicken. Seitdem wurde das Spiel in mehr als 100 Millionen Exemplaren verkauft. Link zum Instagram-Kanal der ARD-Kultursendung „ttt – Titel, Thesen, Temperamente“ zu „Mensch-ärgere-Dich-nicht“ vom 01.11.2021: https://www.instagram.com/tv/CVslvgvLRFO/?utm_medium=copy_link

Alte Spielschachtel "Mensch-ärgere-Dich-nicht"


Ab Beginn der 1970er Jahre entwickelte sich eine meinungsbildende Spielekritikerkultur in Deutschland (Gründung „Spiel des Jahres“ 1979). Kritiker haben durchgesetzt, dass der Autor eines Spiels benannt wird, was mittlerweile internationaler Standard ist.

Seit den 1980er Jahren weiten sich die Qualität, die Vielfalt und die Themen der Brettspiele immer stärker– von Waldsterben zur Weltraumstation. Heute gehören Brettspiele in deutschen Haushalten zum Standardinventar.

Die häufigsten Brettspiele in deutschen Haushalten: Mensch-ärgere-Dich-nicht (77%), Memory (70%), Monopoly (70%), Uno (67%), Tabu (27%), Risiko (22%), Catan (21%), Cluedo (15%). Quelle: Statista"

d) Reflexion der Geschichte und der Entwicklung
Bitte gehen Sie nachfolgend kritisch-reflektierend auf die Geschichte der Kulturform ein. Berücksichtigen Sie dabei insbesondere das 20. Jahrhundert mit der Zeit des Nationalsozialismus, sowie ggf. der sowjetischen Besatzungszeit und der SED-Herrschaft in der Deutschen Demokratischen Republik. Sofern vorhanden, gehen Sie bitte auch auf thematische Bezüge zu Kolonialismus, Kriegen, Migration u.ä. ein. Thematisieren Sie ebenfalls aktuelle gesellschaftliche Debatten oder Kontroversen im Zusammenhang mit der Ausübung der Kulturform. (zwischen 1200 und 2000 Zeichen inkl. Leerzeichen)

"Brettspiele wurden ab der Aufklärung und der Zeit der Reformpädagogik ab dem 18. Jahrhundert gezielt zur Erziehung und dem Lernen von Moralsätzen bei Kindern eingesetzt. Diese Kraft des Spiels erkannten auch Nationalisten und Ideologen. Spiele sind somit nicht prinzipiell unschuldig. Spiele können als wirksames Medium eingesetzt werden, um Stereotype und Vorurteile manipulativ zu verbreiten.

Moralsprüche beim Uhrenspiel von 1811, wo der "Große Komet" (C/1811 F1) eine Weltuntergangsstimmung erzeugte, gestiftet von Wolfgang Börnsen (1942-2024) aus seinem Heimatmuseum in Bönstrup


Neben den Kolonial- und Rassismusspielen (z.B. Auf nach China, Der entflohene Sklave) in der deutschen Kaiserzeit wurden Kinder und Jugendliche verspielt auf eine kriegerische Auseinandersetzung vorbreitet (z.B. Festung und Lager, Seekrieg-Spiel, Kampf der Panzerflotten, Wer will unter die Soldaten).

Da Brettspiele direkt und indirekt Wissen vermitteln, wurden sie stets mit kulturrelevanten Themen unterlegt und auch vom Nationalsozialismus ideologisiert. So enteigneten die Nationalsozialisten 1937/38 gezielt jüdische Unternehmer, die Spielzeug und Brettspiele herstellten und verboten thematisch unliebsame Spiele. Zur gleichen Zeit produzierten wiederum Spielehersteller in Deutschland kriegsverherrlichende und menschenverachtende Brettspiele. Beispiele dafür sind „Auf in die Minenfelder!“, „Wir fahren gegen Engeland“ oder „Fang den Jud‘“.

Die SED- und DDR-Führung lernte aus diesen Prinzipien, als es darum ging, die ostdeutsche Jugend zu sozialistischen Menschen erziehen zu wollen. Die dort produzierten Spiele und Spielmaterialien propagierten Ideale marxistischer Gesellschaftsideen. Darüber hinaus erschienen auch weitgehend wertfrei Spiele mit pädagogischen Aspekten (z.B. Pilze erkennen) und wurden gern mit Allgemeinwissens-Themen unterlegt.

Auch heute werfen aktuelle Geschehnisse neue Fragen nach Frauenfeindlichkeit, Antisemitismus und Rassismus, Klimawandel, Artenschutz und Naturverbundenheit auf und werden aktiv als Brettspielthemen umgesetzt und in der Spielszene besprochen."

e) Wirkung und Nachhaltigkeit
Beschreiben Sie bitte, welche Wirkung die Kulturform außerhalb ihrer Gemeinschaft/en oder Gruppe/n hat. Falls vorhanden, nennen Sie Aktivitäten des Kunstschaffens und der Populärkultur, die auf die Kulturform Bezug nehmen. Stellen Sie bitte dar, inwiefern die Ausübung der Kulturform zur sozialen, ökonomischen und ökologischen Nachhaltigkeit beiträgt, und - falls zutreffend – inwiefern Tier- und/oder Naturschutz gewährleistet werden. (zwischen 1200 und 2000 Zeichen inkl. Leerzeichen)

"Brettspiele werden auch von Menschen gespielt, die sich nicht der Spieler-Szene zurechnen. Die Firma Deloitte hat 2016 in einer repräsentativen Befragung unter 2000 Personen ermittelt, dass von den 19- bis 44-Jährigen über die Hälfte der Befragten mindestens einmal im Monat ein Brettspiel spielt. Über alle Altersgruppen sind es rund 34 Millionen Deutsche. Neuere Studien zeigen eine signifikante Zunahme in den letzten zwei Jahren.

Zwischen Brettspielen und anderen Medien besteht eine befruchtende Wechselwirkung. In den Filmen Jumanji (1955/2007) oder Zathura (2005) bilden Brettspiel-Dachbodenfunde den roten Faden der Filmhandlung. In der Belletristik sind Brettspiele Thema, so in Hermann Hesses „Glasperlenspiel“ (1943) oder in der von Stefan Wilfert herausgegebenen Anthologie „Das Lesebuch der Spieler“ (2014). Computerspiele wie Tetris oder Pac Man wurden auf das analoge Brettspiel zurückübertragen. In beide Richtungen vielfältig verbindend wirken sich Brettspiele auch in künstlerisch-wissenschaftlichen Bereichen aus, zum Beispiel im Improvisationstheater, in Kunst, Malerei, Illustration, Druckgrafik sowie in Form von Auftragsarbeiten in Schulbüchern oder in den Sprachspielen der Rhetorik.

Spielen erlaubt, unser Verhalten auf veränderte Umweltvoraussetzungen anzupassen. Spielen ist Experimentierraum für unser soziales, wirtschaftliches und ökologisches Handeln – für unser gelingendes Miteinander. In der zwischenmenschlichen Interaktion des Brettspiels wird emotional und intensiv indirekt gelernt.

Einmal erworbene Spiele sind mit denselben oder auch mit neuen Partnern und Mitspielern wiederholt spielbar und können dadurch immer wieder zu neuen Erlebnissen werden. Brettspiele sind generell kein Konsumgut, sie werden aufgehoben, gesammelt, vererbt und nicht weggeworfen. Sind sind ein nachhaltig wirksames Kulturgut."

f) Europabezug
Bitte erläutern Sie, falls zutreffend, mit welchen Traditionen die Kulturform in anderen europäischen Ländern in Verbindung steht, wie sich dies auf die Entwicklung der Kulturform auswirkt(e) und welche Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit heute bestehen. (max. 2000 Zeichen inkl. Leerzeichen)

"Die Entwicklung der deutschen Brettspielkultur ab der 1970ern wurde weltweit bekannt als „German Board Games“. Dies waren populär gewordene deutsche Brettspiele. Der Einstieg in diese Spiele ist leicht. Komplexität ergibt sich nicht aus einem umfangreichen Regelwerk, sondern aus den Varianten im Spielprozess. Die Spieler haben meist gleiche Startvoraussetzungen, Asymmetrien sind eher selten. Die Ausstattung der Spiele ist qualitätsorientiert standardisiert, Pöppel kommen als schlichte Spielfiguren zum Einsatz, Miniaturfiguren sind selten. Ebenso sind viele Papp-Marker als eindeutige Symbole für Spielressourcen dabei.

Diese Prinzipien signalisieren simple Spielmechaniken, so dass ein Thema selten im Vordergrund steht, sondern das Spielkonzept. Ein Handelsplatz um Spielressourcen kann in der Antike, im Mittelalter oder auf Planeten im All sein. Diese Art der Spiele ist nicht so abstrakt wie Schach, aber abstrakter als narrative Rollenspiele. Typisch für die German Borad Games ist ein eher unaggressiver Spielverlauf, in dem sich die Spieler Spielaktionen wegnehmen können, aber kein Mitspieler in einem frühen Stadium komplett aus dem Spiel herausgeworfen wird. Die Autoren haben bei der Spielbalance mehr auf Taktik- und Strategiekomponenten gesetzt, Zufall ist selten.

Die Siedler von CatanDie Siedler von Catan, Spiel des Jahres 1995 von Klaus Teuber

Aus diesem Grundkonzept hat sich eine europäische Autorenschaft entwickelt, die sich dieser erfolgreichen Vorgehensweisen bedient, daraus hat sich seit den 90er Jahren der weltweit gebräuchliche Begriff „Eurogame“ weiterentwickelt.
Die Kultur dieser Spiele unterscheidet sich vor allem von typischen Spielen aus den USA. Diese enthalten in der Regel mehr Zufallskomponenten, Überraschungselemente und Konfliktsituationen, was häufiger zu Aggressionen führt. Damit vermittelt die deutsche Spielkultur auch ein Leitbild für ein demokratisches, friedliches und auf Freude und Vergnügen ausgerichtetes Miteinander. Die fast 1000 Spieleproduzenten der SPIEL Essen 2023 kamen aus 56 Ländern, vor allem Europa."

7. Gemeinschaften und Gruppen sowie Art ihrer Beteiligung

a) Eingebundene Gemeinschaften, Gruppen und Einzelpersonen
Definieren Sie bitte die konkrete Trägergemeinschaft des Kulturerbes und ihre Aktivitäten. Nennen Sie u.a. ihre Organisationsform, die Zahl der heute Praktizierenden und deren Rolle bei Erhalt und Weitergabe. Beachten Sie dabei auch Gemeinschaften mit ähnlicher kultureller Praxis. (zwischen 1400 und 2400 Zeichen inkl. Leerzeichen)

"Kulturerbeträger sind in vielen regionalen Spieleclubs organisiert, die in allen Bundesländern als eingetragene Vereine die deutsche Brettspielkultur pflegen und fördern. Parallel dazu existieren informelle, privat organisierte Brettspielgruppen und Brettspielfreundeskreise ohne rechtliche Form, zum Beispiel in Kirchengemeinden, Volkshochschulen, Jugendzentren.
Es ist typisch für die deutsche Brettspielkultur, dass selbst leidenschaftliche Brettspieler und begeisterte Gelegenheitsspieler ihre Freude am Spielen nicht öffentlich zur Schau tragen. Obgleich circa 34 Millionen Menschen in Deutschland mindestens einmal im Monat Brettspiele spielen, liegt dieses Kulturgut vielfach im Verborgenen (s. Deloitte-Studie von 2016). Die Spielkultur wird medial nur in wenigen Situationen öffentlich sichtbar, z.B. auf großen öffentlichen Spielel-Events und Publikumsmessen.

Zum Erhalt der Kulturform der deutschen Brettspielkultur trägt jeder einzelne spielende Mensch bei – sowohl der passionierte Vielspieler als auch der Gelegenheitsspieler. Der großen Zahl der Spieler steht eine kleine Gruppe kreativer Spieleerfinder und Spieleentwickler gegenüber, die jedoch als Impulsgeber maßgeblich zur Lebendigkeit und ständigen Weiterentwicklung der Kulturform beitragen.

Wesentlich für den Erhalt der Kulturform sind bei Spielveranstaltungen die sogenannten „Lebenden Spielregeln“ (liebevoll "Erklärbären" genannt, s. 6b, Weitergabe des Wissens). Das sind leidenschaftliche Vielspieler, die andere Spieler in das Geschehen im jeweiligen Brettspiel einführen. Sie tradieren dabei sowohl die Spielregeln als auch ihre eigenen Spielerfahrungen und übertragen ihr Wissen an jeden, egal, welcher Herkunft, welchen Alters, welcher Hautfarbe oder welchen Geschlechtes. Dabei wirken die „Lebenden Spielregeln“ ehrenamtlich als dynamische Kulturvermittler zur weiteren Verbreitung von Brettspielen.

Die Träger der deutschen Brettspielkultur, die Spielenden, sind grundsätzlich nicht kommerziell ausgerichtet. Für das Medium Brettspiel ist sehr oft die Vermittlung der Spielregeln in Gemeinschaft notwendig. Innerhalb einer Gruppe oder durch die Einzelperson des "Erklärbären" entsteht eine Trägerschaft des Kulturerbes, die unentgeltlich weitergetragen wird. In Altenburg (Thüringen) geschieht das beim Einsatz des Mobilen Spielecafes und den Altenburger Spieletagen."

b) Zugang und Beteiligung an der Kulturform
Bitte erläutern Sie, ob allen Interessierten, auch benachteiligten Gruppen, eine Teilnahme an der kulturellen Praxis grundsätzlich offensteht. Gibt es ggfs. Einschränkungen? (zwischen 800 und 1600 Zeichen inkl. Leerzeichen)

"Deutschlandweit bieten die ehrenamtlich organisierten Spielveranstaltungen der deutschen Brettspielszene einen offenen, leichten und unkomplizierten Zugang zu Brettspielen.

Eigens gegründete Brettspielinitiativen kümmern sich engagiert um inklusive, interkulturelle und generationenübergreifende Angebote. Das belegen Spiele für Menschen mit Inklusionsbedarf, Spiele für Menschen mit Demenz oder das Qualitätssiegel Generationenspiel, eine ehrenamtliche Initiative, die Spiele mit einem Siegel auszeichnet, die sich besonders gut dafür eignen, um generationenübergreifend gespielt zu werden. Das Konzept des gemeinnützigen Spielecafés der Generationen ist von der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel 2020 mit dem Sonderpreis Start Social ausgezeichnet worden. Auch in Ludotheken und kommunalen Bibliotheken können Spiele kostenlos gespielt oder gegen eine geringe Gebühr ausgeliehen werden.

Interkulturelle Gruppen spielen im Bereich der Flüchtlingsbetreuung solche Brettspiele, die keine Sprach- oder Lesekompetenz im Deutschen voraussetzen und eine leicht verständliche und verständnisvolle Verbindung zu Menschen aus anderen Kulturkreisen schaffen. Wer sich ein Brettspiel kaufen will, kann sich vorab in analogen und digitalen Medien durch Rezensionen informieren und das für ihn passende Brettspiel auswählen. Dabei lässt sich gut einschätzen, mit welchem Aufwand für die einführende Auseinandersetzung mit dem Regelwerk zu rechnen ist."

c) Beteiligung an der Bewerbung
Beschreiben Sie bitte, inwiefern sich die Trägerinnen und Träger der Kulturform an dieser Bewerbung beteiligen konnten, wie diese Möglichkeiten genutzt wurden und wer den Antrag entworfen hat. Sind ggfs. Kontakte zu anderen Gemeinschaften, Gruppen und Einzelpersonen aufgenommen worden, selbst wenn diese andere Sichtweisen auf die Kulturform bzw. variierende Formen der Praxis vertreten? (zwischen 1400 und 2400 Zeichen inkl. Leerzeichen)

"Ausgehend von der Spielestadt Altenburg in Thüringen (Spieleproduktion belegt seit 1509) und den Altenburger Spieletagen (stellvertretend dafür Gabrielle Orymek, s. Bewerbungsvideo, Website: www.altenburger-spieletage.de/ ) und dem Ali Baba Spieleclub e.V., dem deutschlandweit mitgliederstärksten Spieleverein mit elf Regionalverbänden (www.ali-baba-spieleclub.de/ ), stellvertretend dafür Christian Wallisch, ist dieser Antrag von Prof. Dr. Jens Junge vom Institut für Ludologie als Vereinsmitglied und IKE-Beaufragter entworfen worden. Die gemeinsame Bearbeitung des Antrages erfolgte über die kooperative Bearbeitungsplattform Google Drive sowie mit mehreren realen Treffen (Essen, Dortmund, Nürnberg, Altenburg, Berlin) und virtuellen Treffen (MS Teams) deutschlandweit mit den weiteren Akteuren und Kulturträgern:

Spielezeitcafé für Generationen und Kulturen e.V., Flensburg (Dr. Ulrike Andersen); Würfel & Zucker, Hamburg; Tillis - Das Spielecafé, Jena (Tilmann Söffing); Playce, Frankfurt a.M. (Katja Eisert); Haarer Spiele-Abend, München (Tom Werneck); Fürther Brettspielfieber (Eva Steiner); Spielecafé der Generationen – Junge und Alt spielt e.V. Pfarrkirchen (https://www.jungundaltspielt.de/ Petra Fuchs), Spielwiese, Berlin (Tim Overkamp), etc. etc. (s. Liste unten mit über 400 Institutionen).

Folgende weitere Institutionen unterstützen die Bewerbung aktiv: Das Schloss- und Spielkartenmuseum Altenburg, das Bayerische Spiele-Archiv Haar bei München und das Spielzeugmuseum Nürnberg, diese zwei Institutionen sind bereits ausgezeichnet als Best Practice für die Förderung von Brettspielen auf der Bayerischen Landesliste der UNESCO.

Die Initiative Stadt-Land-spielt (https://stadt-land-spielt.de/) mit jährlich über 200 Veranstaltungen in deutschsprachigen Städten seit 2013, an einem gemeinsam „Tag des Gesellschaftsspiels“ mit Spieleclubs, Spielotheken, Bibliotheken, Jugendzentren und weiteren öffentlichen Einrichtungen.

Die Spiele-Autoren-Zunft e.V. (SAZ) mit über 600 Spieleautoren, die Spielwarenmesse Nürnberg, der Deutsche Verband der Spielwarenindustrie DVSI e.V., der Spieleverlage e.V., Internationale Spieleerfinder-Messe Nürnberg (ehem. Haar bei München), Deutscher Skatverband e.V., Altenburg beteiligten sich ebenfalls an dieser Bewerbung."

8. Risikofaktoren für die Erhaltung der Kulturform

Nennen Sie bitte etwaige Risikofaktoren, welche die Weitergabe, Praxis und Anwendung der Kulturform gefährden könnten. Hierbei sind auch mögliche Folgen einer Eintragung in das Bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes zu berücksichtigen. (zwischen 1500 und 3000 Zeichen inkl. Leerzeichen)

"Mit der steigenden Zahl an Brettspielerinnen und Brettspielern in Deutschland wächst die Anzahl der Brettspielveranstaltungen und -orte kontinuierlich. Das gemeinschaftliche Brettspiel zeichnet sich durch zwischenmenschliche Interaktion am Spieltisch aus, die eine sehr besondere Kommunikationsform darstellt. In einem Spiel lernen sich Menschen mit ihren prägenden und signifikanten Charaktereigenschaften so emotional kennen, wie dies ein rationales Gespräch, ein Telefonat und eben auch ein Onlinespiel in dieser Form nicht bieten können. Nonverbale Kommunikationselemente, Gestik und Mimik können nur voll umfänglich im menschlichen Miteinander im Hier und Jetzt nebeneinander wahrgenommen werden. Dieses kontinuierliche Wachsen von Spielorten und -stätten als "digitale Entgiftung" und Gegentrend zur Digitalisierung beinhaltet langfristig ggf. das Risiko eines Überangebots.

Viele Spielorte befinden sich in deutschen Innenstädten, um leicht und direkt erreichbar zu sein. Die Immoblilienpreisentwicklung stellt für viele Betreiber von Spielecafes eine starke finanzielle Herausforderung dar, weil die Trägervereine ihre Mitgliedsbeiträge nicht immer dieser Preisentwicklung entsprechend anpassen können.

Die politische Unterstützung für das Kulturgut Spiel ist bis heute nicht adäquat, was sich z.B. in der Praxis der Finanzämter äußert, den ehrenamtlich betriebenen Spieleclubs und Spielecafes die Gemeinnützigkeit bei einer Vereinsgründung zu verwehren. Es besteht das Risiko, die vorrangige, internationale Stellung im Bereich dieses Kulturgutes wieder zu verlieren, wenn sich nicht nachhaltig funktionierende Vereinsstrukturen etablieren können.

Um die deutsche Brettspielkultur und die Brettspielbranche international führend zu halten, müsste die seit Jahren gewünschte und geforderte kulturelle Anerkennung des Brettspiels als ein von Autoren und Illustratoren kreativ erschaffenes und von Verlagen produziertes und verbreitetes Medium endlich erfolgen. So sammelt die Deutsche Nationalbibliothek zahlreiche deutschsprachige Medienerzeugnisse, schließt jedoch in ihrer Pflichtabgabenverordnung für Verlage explizit „Spiele“ aus. Dies führt seit Jahrzehnten dazu, dass nur auf privater Basis mit zum Teil kommunaler Unterstützung Sammlungen und Archive dezentral entstanden sind, die die Brettspiele als Zeitdokument zwar mal mehr, mal weniger vollständig archivieren, es aber für eine adäquate Lehr- und Forschungssammlung von bundesdeutscher Bedeutung und mit wissenschaftlicher Aufarbeitung bisher keine passende Institution gibt. Spieleerfindern, -autoren, -illustratoren, Spieleverlagen, -fachhändlern sowie Spielevereinen und eben auch den Spielern als Kulturerbeträgern selbst steht aus diesem Grund keine qualifizierte deutschsprachige Datenbank als Recherche- und Dokumentationsdatenbank zur Verfügung. Eine Finanzierung über Bundes- oder Landesmittel für eine Lehr- und Forschungssammlung für Brettspiele ist bis heute nicht in Sicht."

9. Bestehende und geplante Maßnahmen zur Erhaltung und kreativen Weitergabe des
Immateriellen Kulturerbes

Bitte stellen Sie dar, welche Erhaltungsmaßnahmen von den Trägerinnen und Trägern der Kulturform umgesetzt wurden bzw. werden, um den Fortbestand des Immateriellen Kulturerbes zu sichern. Beschreiben Sie insbesondere auch, welche Maßnahmen für die Zukunft geplant sind. Erhaltungsmaßnahmen dienen der Bewusstseinsbildung, der Förderung, der Weitergabe, der schulischen und außerschulischen Bildung, der Ermittlung, der Dokumentation, der Erforschung, der Aufwertung sowie der Neubelebung verschiedener Aspekte des Kulturerbes. (zwischen 2000 und 4000 Zeichen inkl. Leerzeichen)

"Bestehende Maßnahmen:
Traditionell werden Brettspiel-Kenntnisse nur beschränkt in der Familie von den Eltern an die Kinder, den Großeltern an die Enkelkinder oder von Freunden an Freunde weitergegeben. Bestehende, konkrete Maßnahmen zur Erhaltung und Förderung der Brettspielkultur der Antragsteller sowie der weiteren 400 Institutionen sind die öffentlich zugänglichen Brettspielveranstaltungen, Brettspielabende, Spieleerfinder-Messen, Spieleautorentreffs, das Siegel: Jung und Alt spielt als Auszeichnung für generationsverbindende Spiele, die Auszeichnung Spiel des Jahres, der Deutsche Spielepreis, die Würdigung der Gestaltung von Brettspielen mit dem Designpreis Graf Ludo, der Tag des Gesellschaftsspiels Stadt-Land-spielt, Spieleerfinder-Workshops und der Einsatz von Spielen in der Bildung und Weiterbildung, z.B. durch die Bundeszentrale für politische Bildung zur Entwicklung staatsbürgerlicher Kompetenzen und eines förderlichen Demokratieverständnisses. All diese Aktivitäten beinhalten das Ziel, Familien privat zum Spielen anzuregen.

Zu den bestehenden wissenschaftlichen Maßnahmen zur Erhaltung und Weiterentwicklung der Brettspielkultur gehören die wissenschaftliche Fachtagung Board Game Studies sowie weitere wissenschaftliche Tagungen und Symposien, der Educators Day auf der SPIEL Essen. Den Bereich der Öffentlichkeitsarbeit bedienen die Zeitschrift Spielbox und weitere Special Interest Zeitschriften. Es gibt Spielekritiken in Print- und Online-Magazinen. Weitere regelmäßig online publizierte Videos erklären Brettspiele, wie z.B. Spiel doch mal!, Hunter & Freinds und Cliquen-Abend.

Museen, Archive und öffentlich zugängliche Sammlungen zeigen und vermitteln die Traditionen und Ideen von Brettspielen, zum Beispiel das Spielzeugmuseum Nürnberg mit dem Deutschen Spielearchiv, das Deutsche Spielemuseum Chemnitz und einzelne Ausstellungsbereiche im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg, das Spielkartenmuseum in Altenburg mit der dortigen Brettspielsammlung de Cassan.

Geplante Maßnahmen:
Eine Hürde bei dem Zugang zu neuen Brettspielen ist das notwendige Lesen und Erlernen der Spielregeln. Es sind verstärkt Spieleerklärer (Erklärbären) sowie Lehrer:innen auszubilden, um die Vielfalt des aktuellen Angebots besser überblicken, einschätzen und passend für eine Spielsituation auswählen zu können. Eine umfangreiche Spielleiterausbildung und weitere Professionalisierung der Spielpädagogik sind anzustreben, ggf. mit Hilfe von Zertifikat oder Trainerschein in Kooperation mit entsprechenden Hochschulen und Akademien.

Spielleiter müssen in der Lage sein, bei sich fremden Personen an einem Spieltisch, ein Gemeinschaftserlebnis herzustellen, für eine gelungene Kommunikation und Interaktion zu sorgen, dabei die Eigenschaften und Fähigkeiten der Mitspielenden zu erfassen, Kreativität und Phantasie zu fördern, Außenseiter zu erkennen und sie in den Spielprozess zu integrieren, die Freude am Spiel – dieser künstlichen Herausforderung – zu vermitteln, für ein Wechselbad von Anspannung und Entspannung zu sorgen, passendes Sozialverhalten zu evozieren, Reflexionsprozesse zu initiieren, Gruppendynamiken zu erzeugen, Zusammenhalt zu organisieren, die Einhaltung von Regeln zu vermitteln, Aufmerksamkeit und Konzentration zu ermöglichen oder auch Spielgruppen zu beruhigen und Konflikte zu schlichten. Für alle diese Fähigkeiten können Brettspiele ein Instrument, ein Anlass mit Aufforderungscharakter sein. Dazu bedarf es der Kenntnisse rund um das vielfältige Spielangebot, die Spieltypen und die psychologischen und pädagogischen Wirkungen von Spielen, um eine gemeinschaftsfördernde Kultur am Spieltisch zu erzeugen.

Die Spielkompetenz kann geübt und vermittelt werden, um die passenden Brettspiele auf die Spielgruppe und Spielsituationen passend abzustimmen. Wenn dies bisher nur aus dem Hobby und eher beiläufig geschehen ist, soll ein bundesweites Ausbildungs- und Weiterbildungsangebot gemeinschaftlich über bestehende Hochschulakteure realisiert werden."

11. Angaben zu den Verfasser/innen der fachlichen Begleitschreiben

Bitte tragen Sie jeweils folgende Informationen in die zwei Felder ein: Name, Anschrift, Telefonnummer, E-Mail-Adresse, fachlicher Hintergrund, sowie ggfs. zugehörige Institution. Bitte beachten Sie unbedingt, dass diese zwei Schreiben von unabhängigen Personen mit einschlägiger Sachkunde im Bereich der Kulturform bzw. des Gute￾Praxis-Beispiels verfasst werden müssen und jeweils nicht mehr als 5000 Zeichen inkl. Leerzeichen umfassen dürfen (s. auch Hinweisblatt für Verfasser/innen von Begleitschreiben).

"Prof. Dr. Karin Falkenberg, Direktorin des Spielzeugmuseums in Nürnberg (und bis 2028 Leiterin des Deutschen Spielearchivs in Nürnberg)
Fachlicher Hintergrund:
Karin Falkenberg studierte Medienwissenschaften, Wirtschafts- und Sozialgeschichte und Ethnologie in Marburg, Wien und München und promovierte 2004 in Halle an der Saale. 2013 wurde sie mit einer Forschungsschrift zum Thema Museum und Emotion habilitiert. 2014 übernahm Karin Falkenberg die Leitung des Spielzeugmuseums in Nürnberg. Parallel zu ihrer Tätigkeit wurde sie 2017 zur Honorarprofessorin am Institut für Kulturwissenschaften der Kadir Has Universität Istanbul berufen. Bis 2018 leitete sie das Deutsche Spielearchiv Nürnberg mit über 30.000 Brettspielen. Seit 2019 liegt Falkenbergs neues Gesamtkonzept zum Thema Spielzeug & Spielen vor. Als methodisches und nachhaltig aufgestelltes Weltmuseum ist das Spielzeugmuseum aktuell im Umbauprozess, um künftig mit historischem und aktuellem Spielzeug die globale Kraft und die Potentiale des Spielens in ihrer gesellschaftlichen Relevanz darzustellen.

Prof. Dr. Jochen Koubek, Medienwissenschaftler, Universität Bayreuth
Fachlicher Hintergrund:
Jochen Koubek studierte Mathematik und Philosophie in Darmstadt und Bordeaux. Nach seiner Promotion im Fach Kulturwissenschaften arbeitete er als wissenschaftlicher Assistent am Institut für Informatik der Humboldt-Universität zu Berlin. Seit 2009 ist er Professor für Digitale Medien und Computerspielwissenschaften an der Universität Bayreuth. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die Geschichte, Ästhetik und Medialität von Computerspielen. Jochen Koubek verfügt über eine Brettspielsammlung, die er zur Vermittlung klassischer Spielkonzepte und Mechanismen als Grundlage für die spielwissenschaftliche Lehre einsetzt."

12. Dokumentation der Kulturform

Bitte geben Sie für alle eingereichten Foto-, Video- und Audiomaterialien den/die Rechteinhaber/in sowie eine
knappe inhaltliche Beschreibung an. Bitte ordnen Sie die Angaben präzise den jeweiligen Dateinamen zu. Sofern
vorhanden, können Sie auch frei verfügbare Film- und/oder Tondokumente mit ihrer Quelle im Internet benennen.
Quellen, Literatur, Dokumentationen bitte nicht im Original beifügen.

"Video, erstellt von den Altenburger Spieletagen für die Initiative deutsche Brettspielkultur (s. Download) von Silvio Schmidt und Jessica Paeschke mit Gabriele Orymek.
Fotos, Videos:
1) Screenshot aus dem Video (s.o.), Gabriele Orymek, Eigenproduktion.
2) Screenshot aus der dreiteiligen ARD-Dokumentation "Board Games - Willkommen in der Welt der Brettspiele" in der ARD-Mediathek, Teil 1: www.youtube.com/watch u.s.w.
3) Screenshot zum Kurzfilm zu "Mensch-ärgere-Dich-nicht" vom Instagram-Kanal der ARD-Kultursendung "ttt - Titel, Thesen, Temperamente" www.instagram.com/tv/CVslvgvLRFO/, Produktion des Hessischen Rundfunks.
4) Foto: Gabriele Orymek, "Altenburger Spieletage" 2019, besetzte Spieltische mit "Kulturerbeträgern" (regelmäßig ca. 300 Besucher:innen)
5) Foto: Jens Junge, Deutsche Brettspielkultur während der "SPIEL DOCH!" in Duisburg, generationsübergreifendes Spiel, Spielausleihe, regelmäßig ca. 14.000 Besucher:innen)
6) Foto: Jens Junge, Ali Baba Spieleclub e.V. in Nürnberg, ehrenamtliche Helfer und "Erklärbären"
7) Screenshot Laudatio Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, 2020, Sonderpreis für Spielecafé der Generationen:
Youtube: https://www.youtube.com/watch?v=msUCzfzUwZA
8) Screenshot aus TV-Film (ARD) "Spielerepublik Deutschland", 1:29:59 Std., wird in 2024 gesendet: vimeo.com/834044995, Passwort: xxx (nur interner Jury-Gebrauch)
9) Foto: Jens Junge, Ausstellung "Am Anfang war das Spiel", Altenburg, historische Funktion der Brettspielkultur
10) Scrennshot aus der ARD-Doku: Spieleerklärerin ("Erklärbär") im Einsatz auf einem Spieleevent"

13. Ergänzungen und Bemerkungen

Hier ist Raum für Ihre individuellen Anmerkungen, beispielsweise für Hinweise auf Bezüge der Kulturform bzw. der
Trägergruppen zu bereits bestehenden Eintragungen in Verzeichnissen des Immateriellen Kulturerbes.

"Seit 2019 sind das Deutsche Spielearchiv Nürnberg, das Bayerische Spiele-Archiv München-Haar und das Spielzeugmuseum Nürnberg als Orte für gute Praxisbeispiele („Best Practice“) im Bayerischen Landesverzeichnis des Immateriellen Kulturerbes. Die drei Institutionen kooperieren mit der Initiative deutsche Brettspielkultur und unterstützen die hier vorliegenden Bewerbung für eine bundesweite Anerkennung.
s. Verzeichnis auf bayern.de:
https://www.ike.bayern.de/verzeichnis/000287/index.html
Standorte der Initiative Stadt-Land-Spielt:
https://stadt-land-spielt.de/de/standorte.htm
Liste einiger Kulurträger, der Spieletreffs, Spielecafes, Spieleclubs, Ludotheken, Vereinen etc. im Brettspielforum
"unknows": unknowns.de/easylink/category/16-spieletreffs-clubs-vereine/

Unterstützt wird dieser Antrag für das Brettspielen durch den Deutschen Skatverband e.V., Altenburg, vertreten durch Hans-Jürgen Homilius, der das Skatspielen mit einem Antrag 2016 in das Bundesweite Verzeichnis Immaterielles Kulturerbe hat eintragen lassen.

Die Landesregierung Thüringen und die Stadt Altenburg investieren in die kommende Spieleerlebniswelt im ehemaligen Parlament "Yosephinum" in Altenburg 24,7 Mio. Euro. Dort wird ebenso eine "Game Lounge" als Spielecafé eingerichtet werden, wo die Brettspielkultur gepflegt werden wird. Weil sich damit Altenburg von der Skatstadt weiterentwickelt zur Spielestadt, wird dieser Antrag aus Altenburg in Thüringen heraus gestellt."

Ort, Datum und Unterschrift der Bewerbung

Ort, Datum und Unterschrift der Gemeinschaft/en, Gruppe/n und gegebenenfalls Einzelperson/en sowie aller unter
Punkt 2 genannten Ansprechpartner/innen:

[Anmerk. d. Red.: Im Formular sind nur fünf Unterschriften möglich, unsere Anfrage, den Antrag mit einer Unterschriftenaktion aus der Brettspielszene zu unterstützen, wurde als nicht notwendig beschrieben. Um die bundesweite Bedeutung der Kulturform darzustellen, wurden bei den fünf Akteuren bewusst die zwei Traditionsstandorte Altenburg und Nürnberg gewählt sowie der Aspekt Nord-Süd, Flensburg und Pfarrkirchen sowie die Bundeshauftstadt Berlin.]

"Altenburg, 31.10.2023, Gabriele Orymek
Nürnberg, 31.10.2023, Christian Wallisch
Pfarrkirschen, 31.10.2023, Petra Fuchs
Flensburg, 31.10.2023, Dr. Ulrike Andersen
Berlin, 31.10.2023, Prof. Dr. Jens Junge"

Bewerbungsformular als PDF zum Download von der UNESCO-Seite (sechste Bewerbungsrunde 2023-2025): HIER.

Herausforderung BKM und DNB

Die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien (BKM) ist die oberste Dienststelle für die Deutsche Nationalbiblothek (DNB). Für die DNB sind Brettspiele "Akzidenzdrucke", Zitat: "Akzidenzen, die lediglich dem privaten, häuslichen oder geselligen Leben dienen", d.h., Gelegenheitsdrucke ohne Verlag wie Flyer, Plakate zu Werbezwecken oder Eintrittskarten (s. Verordnung über die Pflichtablieferung von Medienwerken an die DNB, § 4, Absätze 13 und 14). Damit haben diese Produkte nicht den kulturellen Wert, wie Bücher oder Musik, die als Medienwerke definiert werden. Die DNB sammelt, archiviert und dokumentiert alles, außer Spiele.

Die Spiele-Autoren-Zunft (SAZ) kämpft seit 2014 mit Christian Beiersdorf unermüdlich gegen diesen kulturpolitischen Mißstand. Weil die VG Wort die Tantiemen an die Spieleautorinnen und Spieleautoren auf der Basis des Verzeichnisses der lieferbaren Bücher (VLB) und der Datenbasis der DNB auszahlt, bekommen diese Urheber keine Vergütung, weil die DNB keine Spiele erfasst und sammelt.

Wenn denn die Bundesregierungen nach vielen Jahren und international betrachtet, viel zu spät erkannt haben, dass die digitalen Spiele, die Games, ein sehr relevanter, innovativer Technologiebereich darstellen, der mit einem Bundesförderprogramm zu unterstützen und aufzubauen ist, so hat die Politik noch nicht erkannt, dass in diesem Bereich die analogen Spiele, die Brett- und Kartenspiele als elementare Grundlage dienen. In jedem Studium oder jeder Ausbildung im Bereich Games (Game Design, Game Development, Game Art etc.) schwingen mindestens 5000 Jahre Menschheitsentwicklungsgeschichte rund um das Kulturgut Spiel mit.

In jedem soliden Curriculum beginnen Studierende im ersten Semester mit der Entwicklung von Brett- oder Kartenspielen bevor sie irgendetwas programmieren sollen. So bedarf es schon allein für diesen stark geförderten Bereich der digitalen Spiele einer Lehr- und Forschungssammlung für Brettspiele. Außerdem wachsen seit Jahren beide Bereiche, analog und digital, immer enger zusammen, was allein die beiden deutschen Top-Preise für das Spiel "Dorfromantik" beweisen. Dieses Spiel hat beim Deutschen Computerspielepreis (DCP) 2021 den Preis des besten Debüts und des besten Game Designs erhalten und wurde im Jahre 2023 von der Jury "Spiel des Jahres" als bestes Spiel ausgezeichnet. Aber die DNB sammelt alle Medienwerke, außer Spiele... 

Screenshot von der Süddeutschen Zeitung (SZ) vom 17.07.2023, Link zum Online-Artikel: HIER.

Internationale Computerspielesammlung (ICS) in Berlin und Brettspielsammlungen in Altenburg (brettspiele.digital)

Weil die DNB seit Jahrzehnten die Spiele als Medienwerke ignoriert, haben sich in den Jahren privat getragene Initiativen gebildet, die zum Teil mehr oder weniger kommunal unterstützt wurden. In den 1980ern begann das Ehepaar de Cassan das Österreichische Spielemuseum in Leopoldsdorf bei Wien aufzubauen, die beiden Mitgründer und langjährigen Mitglieder der Jury "Spiel des Jahres", Bernward Thole (1936-2023) und Tom Werneck (*1939) haben über die kostenfreien Rezensionsexemplare der Brettspielverlage ihre jeweiligen Brettspielsammlungen in Marburg und in Haar bei München aufbauen können. Bernward Thole hat dann seine Sammlung 2009 an die Stadt Nürnberg als "Deutsches Spielearchiv" verkauft, Tom Werneck gründete 1996 das Bayerische Spiele-Archiv.

Uwe Petersen, ebenfalls langjähriges Jurymitglied, gründete das Baden-Württembergische Spielearchiv. Der Journalist Peter Neugebauer sammelte privat die ihm zu Rezensionszwecken zugeschickten Brett- und Kartenspiele über vier Jahrzehnte. Der Theater-Regisseur und TV-Journalist Peter Lemcke (*1937) gründete das erste Spielemuseum 1986 privat in Hamburg und übergab es 1994 an den Unternehmer Gert Gauder in Chemnitz.Der Spieleautor Klaus Teuber (1952-2023), u.a. "Siedler von Catan", Spiel des Jahres 1995, hatte eine umfangreiche Sammlung aufgebaut, die nach seinem Tode seine beiden Söhne Benjamin und Guido für die Sammlung in Altenburg gestiftet haben.

Nachdem die Stadt Nürnberg 2020 das Sammlungskonzept für ihr Archiv geändert hat und die Aufnahme weiterer Sammlungen ablehnte, sind diese von Jens Junge vom Institut für Ludologie als ehemaliges Mitglied des wissenschaftlichen Beirats in Nürnberg ab 2020 als Lehr- und Forschungssammlung nach Altenburg ins Residenzschloss als Ergänzung zum dortigen Spielkartenmuseum von 1923 gebracht worden. 2023 ist die Stiftung Spielen mit umfassenden Zielen zum Aufbau und zur Entwicklung von Spielkompetenzen gegründet worden. Eine ihrer Aufgaben ist die Trägerschaft der Brettspielsammlungen hin zu einem "Deutschen Nationalarchiv für Brettspiele" oder einem "Bundesarchiv für Brettspiele" (mal sehen, welcher Begriff bei welcher Bundesregierung besser ankommt). Von den inzwischen mehr als 82.000 Brettspielen, die zur Stiftung gehören, sind über 32.000 in einer Bestandsdatenbank, die erstmalig von der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien (BKM) 2021 gefördert wurde, unter www.brettspiele.digital erfasst worden.

Ehrenamtliche Helferinnen und Helfer von den "Altenburger Spieletagen" rund um das Team von Gabriele Orymek beim Ausladen eines 7,5-Tonner LKWs, einem von neun Lastern und zwei Sattelschleppern mit insgesamt ca. 62.000 Brettspielen

Das Computerspielemuseum in Berlin ist das weltweit erste Museum für interaktive, digitale Unterhaltungskultur, gegründet 1997. Das Museum kann auf einen sehr umfangreichen Fundus an Software und Hardware durch zahlreiche private Spenderinnen und Spender zurückgreifen, d.h. über 30.000 Datenträger mit digitalen Spielen und wird von der Gameshouse gGmbH betrieben. Die USK, Unterhaltungssoftware Selbstkonkrolle, ist in Deutschland für die Festlegung der Alterfreigabe für Videospiele verantwortlich und ist seit 1994 aktiv. Sie sammelt die von ihr geprüften Spiele und archiviert sie. 2012 haben sich einige Computerspiele sammelnde Institutionen zusammengeschlossen, um die "Internationale Computerspielesammlung" (ICS) zu gründen, mit aktuell über 42.000 Spielen. Antreiber dieser Initiative, die inzwischen mehrfach vom Bund gefördert wurde, ist seit Jahren Dr. Winfried Bergmeyer.

 

 Computerspielemuseum Berlin, ein beliebter Drehort für TV-Sendungen, so auch für ZDF TerraXplore vom 4. November 2024, Link zur Sendung: HIER.


Spiele sind Medienwerke, analoge, wie digitale Spiele. Sie besitzen einen kulturellen, sozialen und ökonomischen Wert, der die Basis für kommende Erfolge legen kann, der das Fundament für eine solide spielwissenschaftliche Ausbildung und Forschung legt. Wenn die Deutsche Nationalbibliothek sich der Öffnung für Spiele und Games weiterhin verschließt, braucht es parallele Institutionen, die diese Aufgabe auf Bundesebene erfüllen. Die Internationale Computerspielesammlung in Berlin hat als Trägerinstitution eine gGmbH gegründet und die Stiftun Spielen hat als eine ihrer umfangreichen Aufgaben rund um den Aufbau und die Entwicklung von Spielkompetenzen die Trägerfunktion für die Lehr- und Forschungssammlung in Altenburg übernommen, bis mit der Bundesregierung (BKM, BMWK, BMBF) zusammen ein nachhaltiges Trägerschaftskonzept entwickelt worden ist. Langfristig sollten beide Institutionen eng zusammenarbeiten und ihre Daten in einer gemeinsamen Datenbank für Forschungszwecke zur Verfügung stellen können.
 

Erster Erfolg: Brettspiele spielen steht im Bundesverzeichnis des Immateriellen Kulturerbes der UNESCO

Man kann nicht alles auf einmal wollen. Wenn das materielle Kulturerbe noch ein bisschen warten muss, bis der Bund dort seine Verantwortung und Handlungsoptionen für eine institutionelle Förderung und langfristige Finanzierung erkennt, freut sich die Brettspielszene über die Anerkennung ihrer Kulturform als Immaterielles Kulturerbe im ersten Schritt. Am 26. März 2025 war es soweit. Die Kulturministerkonferenz des Bundes, mit der ehemaligen Vorsitzenden Karin Prien (CDU, ehem. Bildungs- und Kultusministerin in Schleswig-Holstein, jetzt Bundesbildungsministerin im Kabinett Merz) hat zusammen mit der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien (BKM), Claudia Roth (Grüne), auf der Grundlage der Empfehlung der UNESCO-Kommission die Kulturform "Brettspiele spielen - Brettspielkultur in Deutschland" in das Bundesverzeichnis aufgenommen.

Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Claudia Roth und Jens Junge in Frankfurt am Main am 21. Oktober 2024, 16 Tage vor dem Ende der Ampel-Regierung

Die Kulturstaatsministerin des Bundes, Claudia Roth (Grüne), erklärt: „Die Neuaufnahmen in das Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes spiegeln die kulturelle Vielfalt und regionale Besonderheiten wider. Es freut mich, dass die ‚Brettspielkultur‘ in die Liste aufgenommen wurde; sie verbindet Generationen und fördert den Zusammenhalt. Auch die Aufnahme der Analogen Fotografie wie etwa auch von Glockenguss und Glockenmusik ist eine wichtige Würdigung dieser Kulturtechniken.“

Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz und Sächsische Staatsministerin für Kultur und Tourismus, Barbara Klepsch (CDU), erklärt: „Die Neuaufnahmen sind Ausdruck der lebendigen kulturellen Vielfalt und Kreativität in Deutschland. Das Immaterielle Kulturerbe ist ein wichtiger Bestandteil unserer kulturellen Identität. Die Aufnahme neuer Traditionen und Praktiken würdigt das Engagement der Gemeinschaften, die dieses Erbe pflegen und weitertragen. Es verbindet Menschen, fördert den interkulturellen Dialog und stärkt den sozialen Zusammenhalt. Ich danke allen Beteiligten, die sich für den Erhalt und die Weitergabe dieser Traditionen einsetzen. Ihr Engagement trägt dazu bei, dass das Immaterielle Kulturerbe auch für zukünftige Generationen lebendig bleibt.“


Pressemitteilung vom 26.03.2025: "Immaterielles Kulturerbe in Deutschland: Verzeichnis wächst - Bund und Länder beschließen Neuaufnahme": HIER.

Website der deutschen UNESCO-Kommission zum Immateriellen Kulturerbe 2025: HIER.


Website der deutschen UNESCO-Kommission zur Kulturform "Brettspiele spielen": HIER.


Welche Hoffnungen sind mit dem Immateriellen Kulturerbe der UNESCO für das Brettspielen verbunden?

Wie oben schon erwähnt, wünschen sich Spieleautorinnen und Spieleautoren, vertreten durch die Spiele-Autoren-Zunft (SAZ) sowie auch der Spieleverlage e.V. (und viele kulturpolitisch modern denkende Menschen) die kulturelle Gleichstellung mit anderen politisch anerkannten Kulturformen, z.B. wie dem Buch. "Spiel kann Buch", das Motto von Reinhold Wittig. Auch wenn es bis dahin noch ein weiter Weg ist, ist mit der Anerkennung des Immateriellen Kulturerbes durch die UNESCO-Kommission und der 16 Kultusministerien der Bundesländer sowie der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, ein wesentlicher Schritt gelungen, der damit ein "offizielles" Argument liefert, warum weitere Entscheidungen zur Aufwertung dieser Kuturform und der damit verbundenen Spielkompetenzen notwendig sind.

Denn eigentlich kann Spiel noch ganz andere Dinge ergänzend mehr als ein Buch. Bücher laden zu Gedankenspielen ein. Im Spiel handeln wir praktisch im Hier und Jetzt. Das Spiel kann Persönlichkeiten emotional durch Gemeinschaftserlebnisse prägen, Charaktereigenschaften formen, Kompetenzbereiche ausbilden, die ein Buch nicht adressieren kann und auf dem Gebiet der physischen, sprachlichen, kognitiven, emotionalen, sozialen und kulturellen Kompetenzen.

Produkt der Deutschen Bundespost: Briefmarke Individuell, gestaltet von Reinhold Wittig: "Spiel kann Buch", Anfang der 2000er, als die Post noch für 45 Cent eine Postkarte transportiert hat


Aus der Anerkennung für das "Brettspiele spielen", der Brettspielkultur in Deutschland, lassen sich drei zentrale Tätigkeitsfelder ableiten, um sich weiter auf den Weg zu einer kultur- und bildungspolitischen Anerkennung zu bewegen. Was könnte also das bundesweite UNESCO-Verzeichnis für diese interaktive Kulturform konkret bringen?

Was kann die UNESCO-Anerkennung konkret bringen?

1) Bewusstsein für die kulturelle Bedeutung

Als erstes stärkt diese Anerkennung durch die UNESCO die Kulturträger selbst, d.h. die Brettspielerinnen und Brettspieler die sich in der Vergangenheit von manchen Menschen komisch fragend oder skeptisch haben angucken lassen müssen: "Was machst Du? Brettspiele?" Die Kulturform "Brettspiele spielen" hilft hoffentlich, die Vorurteile in der Öffentlichkeit und in der Politik zu entkräften, die noch immer hier und da spürbar sind. An so manchen dieser spielunerfahrenen Menschen ist vorbeigegangen, dass neben "Monopoly" (1904) und "Mensch ärgere Dich nicht" (1914) Spieleautorinnen und Spieleautoren tausende neue Spiele entwickelt haben, vor allem seit den 1980ern. Ihnen ist entgangen, dass eine internationale Brettspielszene entstanden ist, die aber auch weit in die Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Man beachte nur, wie viele Buchhandlungen, vor allem gelernt in den Pandemiejahren, ihr Sortiment mit Brett- und Kartenspielen erweitert haben. Die künstlerisch arbeitenden Illustratorinnen und Illustratoren der Brettspiele gestalten visuell ansprechende Medienwerke, die zahlreiche weitere Aspekte des Lebens im gemeinsamen Spiel verhandeln, konzipiert, ausgedacht, mit Spielmechaniken und Spielregeln versehen, von die Spieleautorinnen und Spieleautoren als Urhebern.

2) Politische Anerkennung der Brettspiele als Medienwerke

Das immaterielle Kulturerbe stellt ein vitales, im Lebensalltag der Menschen verankertes kulturelles Selbstverständnis dar und beschreibt den Prozesses des Brettspiele Spielens. Mit Hilfe von materiellen Spielmitteln, von Brett- und Kartenspielen, wird diese Kulturform gepflegt. So besteht die dringende Hoffnung und politische Erwartungshaltung, dass auf Bundesebene endlich auch das materielle Kulturerbe anerkannt wird. Brettspiele haben in der Deutschen Nationalbibliothek einen kulturell unakzeptablen Status als "Gelegenheitsdruck" und werden nicht als Medienwerke anerkannt und nicht gesammelt, erfasst oder dokumentiert. Seit Jahren arbeiten viele brettspielaffine Menschen daran, diesen Missstand zu beheben. Nachdem die DNB-Führung sich nach zwei Jahren der intensiven Gespräche keinen Schritt gedanklich oder inhaltlich bewegt hat, ist es mit der jetzigen UNESCO-Anerkennung hoffentlich möglich, eine bundesweit getragene Lösung für ein "Gedächtnis der Brettspielbranche" in Altenburg bei Leipzig mit der Bundesregierung 2025 zu realisieren und dann zumindest in Kooperation mit der DNB? Vielleicht sogar mit Nürnberg und Chemnitz zusammen? Dazu haben wir die Stiftung Spielen als Trägerinstitution gegründet, um die Sammlungen de Cassan, Neugebauer, Petersen, Teuber und Werneck zusammenzuschließen und unter www.brettspiele.digital öffentlich zugänglich zu machen. Die Stiftung ist im Aufbau und hat ähnlich wie eine Stiftung Lesen mit der Vermittlung von Lesekompetenz das Ziel Spielkompetenz zu vermitteln und damit auch über die reine Branche der Brettspiele hinaus zu wirken.

3) Spiel als Methode in der Schule

Wie leicht oder schwer haben es Lehrer, Brettspiele als Methode im Unterricht einzusetzen? Man höre nur den Lehrerinnen und Lehrern bei der vom Spieleautor Uwe Rosenberg gestarteten Initiative "Schule und Spiel" zu. Wie viele lehrende Kollegen rümpfen bisher die Nase, wenn "nur gespielt" werden soll. In der pädagogischen Ausbildung zur Vorbereitung auf das Lehramt ist die Spielpädagogik als Erkenntnisfeld kein Standard als Studiumsgegenstand, geschweige denn der Einsatz von Brettspielen im Unterricht. Doch wie wollen Lehrende an Brennpunktschulen nach Lehrpaln unterrichten, wenn die Kinder nicht unterrichtsfähig sind? Sind da nicht vorrangig sprachliche, emotionale und soziale Fähigkeiten zu vermitteln? Es sind inzwischen als Pilotprojekt zwei Brettspielklassen in Hamburg und Bielefeld entstanden, die erste beeindrickende Ergebnisse erzielt haben. "Brettspiele spielen" als Kulturerbe und damit als anerkannte Kulturtechnik in Schulen einsetzen zu können, sollte mit der Entscheidung der Kultusministerkonferenz der 16 Bundesländer in Deutschland hoffentlich einfacher werden. Für bestehende Lehrkräfte kann ein Weiterbildungsangebot unterstützt werden, mit dem diese mehr Spielkompetenzen und damit die Kraft des Spielens mit Brettspielen im Unterricht erfahren, z.B. durch die Brettspielakademie von Christina Valentina-Branth

4) Anerkennung der Gemeinnützigkeit

Viele Spielclubs, Spielecafés und Vereine haben es schwer, über die Abgabenordnung beim Finanzamt ihre Gemeinnüttigkeit anerkannt zu bekommen. Jetzt ist es klar, dass "Brettspiele spielen" ein unterstützenswerte Kulturform ist und nicht nur Vergnügen, wo man wohl möglich noch eine Vergnügungssteuer erheben möchte. Die deutsche Abgabenordnung sieht die Anerkennung einer steuerlich wirksamen Gemeinnützigkeit unter Punkt 5 vom Paragraphen 52 vor: Die Förderung von Kunst und Kultur. Mit der von der UNESCO bestätigten Kulturform "Brettspiele spielen" sollten sich endlich die deutschen Finanzämter nicht mehr gegen die ehrenamtlich geführten Vereine und Spieleclubs stellen.

5) Öffentliche Bibliotheken, Ludotheken

Öffentliche Bibliotheken, von Städten und Gemeinden, spüren immer stärker, dass Menschen neben den Büchern sich Brettspiele zum Ausleihen wünschen. So haben diese Bibliotheken vermehrt ihre Bestände für Brettspiele auf- und ausgebaut und die Ausleihzahlen für Brettspiele in den Jahren 2020-2023 auf mehr als fünf Millionen Ausleihen pro Jahr verdoppelt (s. Pressemitteilung SAZ vom 25.10.2024). Mit der UNESCO-Anerkennung wird es hoffentlich den Bibliotheken einfacher werden, die Ankaufbudgets für Spiele erhöhen zu können.

6) Was ist der nächste große Schritt?

Natürlich gibt es nicht nur eine deutsche Brettspielkultur. Nachdem wir nun nach der "Landesliga" in Bayern (2019) und Thüringen (2024) nach acht Jahren endlich in der "Bundesliga" (2025) mit dem Thema spielen, steht nun die internationale Ebene an. Auch in Frankreich, USA, Taiwan, Südkorea, Argentinien etc. wird diese Kulturform in unterschiedlichen Ausprägungen gepflegt, so setzten wir uns das Ziel, in den nächsten Jahren auf die "Repräsentative Liste des Immateriellen Kulturerbes der Menschheit" bei der UNESCO zu kommen. Aus Deutschland sind inzwischen 10 Kulturformen in die Liste aufgenommen: HIER. Da würden sich das Thema Brettspiele sehr gut machen :) Der andere Weg wäre, dass aus anderen Ländern eigene Anträge gestellt werden. Übersicht dazu bei Wikipedia.


Fazit: Das Kulturgut Spiel mit seinen zahlreichen Facetten und Ausprägungen kommt nach all den Jahren in Teilbereichen voran. Weiter geht's, Politik und Gesellschaft von der Kraft und der Bedeutung des Spielens zu überzeugen.