Zum Hauptinhalt springen

Computerspiele und Politik: Machtinstrument, Propaganda und Ideologien

Jedes Spielzeug besitzt einen gewissen Aufforderungscharakter: Komm, spiel mit mir. So haben Kinder im ersten Weltkrieg sehr kriegerische Spielmittel gegen die eindeutig "Bösen" eingesetzt, auf beiden Seiten der Front. Zur Vorbereitung des zweiten Weltkrieges, angetrieben von der nationalsozialitischen, menschenverachtenden Ideologie, sollten Pimpfe zu siegreichen Soldaten ausgebildet werden und während des Krieges konnte "Bomben auf England" ansprechend illustriert gespielt werden. Ja, damals, im Krieg. Klar. Und heute?

Brettspiel Bomben auf England

Brettspiel: "Bomben auf England" von Spear-Spiele (aus einem enteigneten jüdisch-englischen Spieleverlag aus Nürnberg), 1940

Eigentlich verbinden wir als "Homo ludens" Computer- und Videospiele mit positiven Aspekten. Es geht uns unter anderem um Spaß, Sinnstiftung, Zweckfreiheit und Freiwilligkeit. Wir spielen, weil wir es gerne tun. Insbesondere bei digitalen Spielen können wir nicht nur in unserer Fantasie, sondern visuell in andere Welten eintauchen. Darüber hinaus erleben wir Geräusche und ein weltweites Miteinander in diesen Spielen.

Eine Besonderheit ist, dass unser Gehirn anders funktioniert, wenn wir spielen (Denilson, et al., 2019). So erwarten wir in einem Spiel beispielsweise keine realen Gefahren. Darüber hinaus bewegen wir uns als Spieler in einer Umgebung, in der wir uns wohlfühlen. Die Folgen dieser Aspekte sind, dass wir besonders empfänglich für Botschaften sind, die uns in diesem Zustand des Spielens erreichen. Das ist zum Beispiel einer der Gründe, weshalb sich werbende Inhalte in vielen digitalen Spielen befinden. Unser Gehirn bewertet diese Inhalte positiver, wenn wir spielen. Diesen psychologisch begründeten Trick kennen aber nicht nur Unternehmen, sondern auch die Politik. Spiele und Spielwaren sind nicht immer "unschuldig". Mit der starken Kraft der Spielwirkung wollen so manche staatlich finanzierten Game-Designer die Botschaften der Autokraten, Diktatoren und Kriegsherren zu Kindern und Jugendlichen tragen. Nur damals, in den Weltkriegen?

Wolfgang Morawe: "Spielend in den Krieg", 2019

Propaganda und ideologische Botschaften in Computer- und Videospielen

Die Welt ist insbesondere in den letzten Jahrzehnten immer komplexer und digitaler geworden (Taylor, 2014). Wir leben in einer Zeit des Informationsüberflusses. Aufgrund dieses Zustandes der ständigen "Beschallung" mit Inhalten, filtert unser Gehirn Informationen schlechter als "früher". Wir befinden uns also in einer kontinuierlichen Stresssituation. Darüber hinaus sind wir ständig erreichbar, was zu zusätzlichem Stress führt (Mejias, 2013). Digitale Spiele sind daher wichtig, damit wir vom Stresslevel runterkommen und abschalten können. Wer aber meint, er sei dort sicher vor den Botschaften, die man sonst nur aus den Nachrichten oder Social Media kennt, der irrt.

Nicht nur in die Olympischen Winterspiele 2022 in Peking investiert die autokratische Regierung Chinas Milliarden Renminbi (chinesische Yuan) in eine ländliche Region, in der es sonst nie schneit. Sie nutzt ebenso die Computer- und Videospiele gezielt als Propagandamethode. Ziel ist es, den erklärten Erzfeind Japan zu bekämpfen. So verbreitet die kommunistische Partei absichtlich missverständliche Informationen, unter anderem auch in digitalen Spielen. Japan wird oft als zu bekämpfender Feind gewählt, vor allem in Spielen, die ein Setting im zweiten Weltkrieg haben (Hongping, 2013). Bedenklich ist vor diesem Hintergrund besonders, dass sich mit dem Publisher Tencent ein Branchenprimus in China befindet. Der Spielehersteller gehört zu den größten Softwareunternehmen der Welt und hält Anteile an diversen anderen Publishern, auch solchen, die in westlichen Ländern sitzen (s. Supercell mit "Clash of Clans", "Clash Royal" zu 84%, Riot Games mit League of Legends zu 100%, s. Übersicht in Wikipadia). Auch der Einfluss auf die E-Sport-Szene ist inzwischen immens. Tencent spannt einen Kontrollschirm über die E-Sport-Aktivitäten der eigenen Unternehmen und Beteiligungen (Yupei, Zhongxuan, 2020).

China geht diesen Weg sehr bewusst. Schließlich weiß die Regierung, dass sie über die Spiele eine eher junge Zielgruppe erreichen, deren politische Beeinflussung jahrzehntelange Folgen haben kann (Kaye, 2019). Ferner werden so die oben beschriebenen Phänomene genutzt, insbesondere, dass wir als "Homo ludens" gut über Spiele angesprochen werden können und somit indirekt, unbewusst Bewertungen in unsere Spielhandlungen und Denkstrukturen mit aufnehmen.

Chinesische Propagandaabteilung übt Einfluss aus

Die japanischen Anime-Games sind ebenso in China beliebt und der chinesischen Regierung ein Dorn im Auge. Ihre Verbreitung ist zu unterbinden. In China produzierte Anime-Games sollen keine japanischen Untertitel, Synchronisation oder Texte mehr liefern können. In Spielen, in denen Game-Designer Landkarten verwenden, müssen diese zukünftig genehmigt sein. Zwischen China und Japan bestehen bis heute Grenzstreitigkeiten um Meeresgebiete und kleine Inseln.

Die Propagandaabteilung zählt mehrere Games-Entwickler und Studios mit ihren Produkten auf, auf die zukünftig mehr Regierungseinfluss zukommen wird, weil darin die japanische Kultur eine Rolle spielt: Shin Megami Tensei IV: Apocalypse, die Civilization-Serien, Onmyoji, Arknights und das schwedische Studio Paradox Interactive, an dem Tencent seit dem Börsengang 2016 einen 5%-Anteil hält.

Spiele, die militaristische Bilder von Japan enthalten, sind auszubremsen, der Verkauf zu verhindern oder auf die chinesischen Entwicklungsstudios (Shanghai Manjuu, Xiamen Yongshi) politisch Einfluss zu nehmen. Darunter fallen dann u.a. "Nobunaga's Ambition", der japanische Spieleklassiker seit 1983 (dort erfolgreich, wie die Anno-Reihe in Deutschland), "Azur Lane" oder "Kantai Collection".

Japanisch anmutendes Anime-Game "Azur Lane" vom chinesischen Entwicklungsstudio Shanghai Manjuu

Zusätzlich zu dem "Problem" der japanischen Kulturvermittung, möchte die chinesische Propagandaabteilung "feminine" Charaktere aus den Spielen entfernt haben. So erhielten dazu die chinesischen Entwicklungsstudios Tencent und NetEase entsprechende Anweisungen.

Gaming und E-Sport als Machtinstrument

Vor Kurzem ist ein Knall durch die E-Sport-Szene gegangen. Die Electronic Sports League (ESL), also der größte Wettbewerbsveranstalter der Welt in Sachen E-Sport, ist von der saudischen Savvy Gaming Group (SGG) für 1 Milliarde US-Dollar (1.000.000.000,00) aufgekauft worden. Damit aber nicht genug, die SGG kaufte gleich noch FACEIT dazu, eine Plattform, auf der sich Spielerinnen und Spieler im elektronischen Wettkampf messen können. Hinter der SGG steht aber kein privatwirtschaftlicher Softwareriese, sondern der Public Investment Fund (PIF). Der PIF wiederum ist ein Staatsfonds Saudi-Arabiens. Im Grunde hat also der saudische Staat die ESL gekauft. Saudi-Arabien ist eine absolutistische Monarchie mit theokratischen Zügen – also weit weg von dem, was wir im Westen als freiheitlich-demokratisch bezeichnen würden. Saudi-Arabien tritt die Menschenrechte mit Füßen, foltert Dissidenten, behandelt Frauen als Menschen zweiter Klasse und richtet Menschen auf offener Straße hin, die homosexuell sind (Amnesty International, 2020). Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman gilt als staatlicher Auftragsmörder für den in der Türkei getöteten regimekritsichen saudischen Journalisten Jamal Khashoggi (1958-2018) und ist der Chairman der SGG.

Dementsprechend war der Aufschrei von einem Teil der E-Sport-Szene groß. Saudi-Arabien steht für nichts, für das der elektronische Sport steht, beispielsweise die Gleichstellung der Geschlechter oder die Inklusion aller Menschen (Schöber, 2022). Mit der ESL verfügt der saudische Staat nun über ein Machtinstrument, mit dem gezielt junge Menschen auf der ganzen Welt subliminale Botschaften erhalten können. Darüber hinaus kann das Land auch diktieren, wo noch ESL Events stattfinden dürfen oder in welchen Spielen diese ausgetragen werden. All das tangiert auch das dem E-Sport übergeordnete Gaming.

Der neue oberste Chef der Electronic Sports League (ESL)
seit 2022: Mohammed bin Salman al-Saud, Kronprinz des
Landes Saudi-Arabien

Fazit

Nicht nur beim Spielzeug, den Brettspielen, auch in digitalen Spielen sollten wir zweimal hinschauen. Durch die zunehmende Relevanz des Gaming als größter Entertainment-Industrie der Welt (GamesWirtschaft, 2020), drängen auch vermehrt Share- und Stakeholder in den Markt, die wir als humanistisch und demokratisch geprägte Menschen lieber nicht dort hätten. Insbesondere aufgrund der oben genannten Faktoren heißt es also, öfter mal achtsam zu sein. Es bleibt zu vermuten, dass der politische Einfluss von Autokraten, Diktatoren und Monarchen auf Computer- und Videospiele sowie den E-Sport in Zukunft noch zunehmen wird. Und dies wird nicht so offensichtlich sein, wie sich die Scheichs aus Katar mit Bestechungsgeldern eine Fußball-Weltmeisterschaft für 2022 bei der FIFA in die Wüste holen, wo auf den Baustellen der Fußball-Stadien mehr als 15.000 "Fremdarbeiter" bisher starben. Die Botschaften und Ziele der undemokratischen Regime werden wohl zukünftig schleichender und "spielerischer" an uns herangetragen.

 

Quellen, Linkhinweise:

 

Brain Sciences | Free Full-Text | Does Video Gaming Have Impacts on the Brain: Evidence from a Systematic Review (mdpi.com)  

Literacy in a Digital World | Teaching and Learning in the Age of Info (taylorfrancis.com)

Off the Network: Disrupting the Digital World - Ulises Ali Mejias - Google Books

Gaming, Nationalism, and Ideological Work in Contemporary China: online games based on the War of Resistance against Japan: Journal of Contemporary China: Vol 22, No 81 (tandfonline.com)

Umbrella platform of Tencent eSports industry in China: Journal of Cultural Economy: Vol 14, No 1 (tandfonline.com)

Gaming classifications and player demographics — Edge Hill University

Everything you need to know about human rights in Saudi Arabia 2020 - Amnesty International Amnesty International

Kritik am Saudi-Deal: Der Ausverkauf der E-Sport-Seele | gaming-grounds.de

Umsatz-Vergleich 2019: Computerspiele lassen Musik und Kino weit hinter sich - GamesWirtschaft.de